„Der Projektbegriff wird bei uns inflationär verwendet.“ Diesen oder ähnliche Aussprüche hört man in der Praxis immer wieder. Plötzlich ist alles ein Projekt, und jede/r ein Projektmanager. Die Projektitis hat wieder mal zugeschlagen!
Die meisten Unternehmen haben die damit verbundene Problematik erkannt: Durch die unklare Verwendung des Projektbegriffs wird dieser Managementansatz abgewertet und auch ad absurdum geführt. Projektmanagement macht natürlich nur dort Sinn, wo es sich auch um Projekte handelt. Zudem muss sich die PM-Methodik der Projektkomplexität und -spezifität anpassen – nicht umgekehrt. In der Fachterminologie nennt man das „scalability“.
Wie aber schaffen es Unternehmen und öffentliche Organisation, der Volkskrankheit „Projektitis“ zu entgehen? Ganz einfach: Es muss für ALLE Mitglieder einer Organisation klar sein, was ein Projekt ist – und was eben auch nicht.
Ich habe vielfach festgestellt, dass der klassische Projektbegriff mit den Kriterien klares Ziel, zeitliche Begrenzung, komplexe Aufgabe, Neuartigkeit, Einmaligkeit, begrenzte Ressourcen und Teamarbeit nur zum Teil weiter hilft. Sind Kundenaufträge beispielsweise Projekte? Denn die sind ja nicht neuartig. Oder sind IT-Projekte überhaupt Projekte? Denn einmalig sind die in vielen Unternehmen auch nicht.
Mein Vorschlag: Konzentrieren Sie sich auf die Frage nach der KOMPLEXITÄT. Ist die Aufgabe wenig, mittelmäßig oder sehr komplex? Grundsätzlich gilt: Je komplexer eine Problemstellung ist, umso großer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeits- und Organisationsform Projektmanagement Sinn macht.
Dann stellt sich aber gleich die nächste Frage: Was bedeutet Komplexität? Was sagt Wikipedia dazu?
„Eine sehr allgemeine Definition ist folgende: Die Eigenschaft eines Systems oder Modells, welche die Beschreibungen seines Gesamtverhaltens in einer beliebigen Sprache erschwert, selbst wenn man vollständige Informationen über seine Einzelkomponenten und ihre Wechselwirkungen besitzt.“
Diese Definition ist in sich komplex und darum nur bedingt in der Praxis anwendbar.
Auf eine brauchbare und gleichermaßen verständliche Begriffsdefinition für Komplexität bin ich in diesem Artikel von R. Jochum gestoßen:
„Soweit es die Gesellschaft betrifft, wird Komplexität vor allem mit Problemen assoziiert. Das heißt, von Komplexität ist im Alltag immer dann die Rede, wenn man von Problemen spricht, für die man keine (einfache) Lösung sieht. Komplexität bedeutet auf diese Weise Konfrontation mit Unsicherheit und mündet zumeist in die Bereitschaft, den Einsatz und die Mittel zur Problemlösung zu forcieren bzw. – zumindest – die Forderung nach Problemlösemustern zu erheben. […]“
Fazit: Mit professionellem Projektmanagement lassen sich enorme Effizienz- und Effektivitätsgewinne realisieren. Jedoch nur dann, wenn nur projektwürdige Aufgabenstellungen in Projektform bearbeitet werden. Zur Bestimmung der Projektwürdigkeit wiederum ist die Frage nach der vorliegenden Komplexität von dominierender Bedeutung.