In vielen Unternehmen ist nicht klar geregelt, was als Projekt zu bearbeiten ist und was nicht. Das ist ein Problem, denn wenn dies nicht geklärt ist, können grob 3 Szenarien eintreten:
- Aufgaben, die eigentlich projektwürdig wären, werden in der Linie oder in Routineprozessen abgewickelt.
- Aufgaben, die eigentlich NICHT projektwürdig wären, werden als Projekte abgewickelt („Projektitis„).
- Aufgaben, die projektwürdig sind, werden als Projekte abgewickelt. (also der Idealfall, der aber sehr selten bis fast ausgeschlossen ist, wenn die Projektkriterien nicht klar sind)
Die Herausforderung besteht also darin, nur für wirklich projektwürdige Themen das Projektmanagement-Konzept anzuwenden. Dies wiederum hat wesentlich mit der Projektentscheidung und Projektbeauftragung zu tun, die idR den funktionalen Führungskräften im Unternehmen obliegt.
Was können wir also tun, um hier mehr Klarheit und Systematik hinein zu bringen?
Grundsätzlich orientieren sich viele Unternehmen und auch Fachbücher an der DIN-Definition des Projektbegriffs. Dies ist meines Erachtens nicht ganz optimal, da die DIN-Definition entscheidende Lücken hat (und zudem auch nicht sonderlich verständlich ist. Zuerst aber zur Definition nach DIN 69 901:
Ein Projekt ist „ein Vorhaben, das im wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z.B.
- Zielvorgabe
- zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Bedingungen
- Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben
- projektspezifische Organisation.“
Alles (un)klar? Ich finde, bei der unmittelbaren Projektentscheidung hilft uns diese Definition nicht wirklich weiter.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es insbesondere zwei Kriterien gibt, um projektwürdige von weniger projektwürdigen Aufgaben, Problemstellungen oder Herausforderungen zu trennen, nämlich
1) Komplexität und
2) Neuartigkeitsgrad. (siehe obige Darstellung)
Oder anders ausgedrückt: Je komplexer und/oder neuartiger ein Thema ist, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Bearbeitung als Projekt Sinn macht. Das klingt verhältnismäßig trivial, genau darum geht’s aber im Kern.
Denn:
Komplex aber nicht sehr neuartig: Es gibt Themen, die zwar komplex sind, die aber in der Organisation regelmäßig gemacht werden –> z.B. komplexe Kundenaufträge, Innovationsprojekte. Hier macht die Bearbeitung als Projekt Sinn, obwohl die Prinzipien des Prozessmanagements auch zu berücksichtigen sind. Drum durchlaufen diese Projekte auch sogenannte Projektprozesse, die den Charakter von Vorgehensmodellen haben (Stage-Gate, Auftragsabwicklungsprozesse etc.).
Komplex und neuartig: Dann gibt es Aufgaben, die sowohl komplexe als auch neuartig sind. Hier ist’s in der Regel recht eindeutig, dass ein Projekt die richtige Arbeits- und Organisationsform darstellt.
Neuartig und (vermeintlich) wenig komplex: Und schlussendlich häufen sich in Unternehmen sehr neuartige und innovative Problemstellungen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sehr komplex sind, die aber auf jeden Fall (gänzlich) neu sind. hier bieten sich idR Kleinprojekte, Machbarkeitsstudien oder Vorprojekte an, um die Situation weiter zu konkretisieren, Konzepte auszuarbeiten, Marktstudien zu erstellen etc. Danach entscheiden Sie, ob aus dem Thema ein Projekt werden soll, ob es in der Linie weiter bearbeitet wird oder ob Sie es wieder fallen lassen.
Wenn die Projektentscheidung dann grundsätzlich positiv ausgefallen ist, gilt es natürlich, zwischen verschiedenen Projektklassen (= Größenordnungen) und Projektkategorien (= inhaltliche Ausprägung) zu differenzieren und das Projektmanagement entsprechend zu skalieren und anzupassen. Beispiel Projektklassen:
Fazit:
- Für den Erfolg des Projektmanagements ist es von entscheidender Bedeutung, dass Sie PM nur dort anwenden, wo’s auch tatsächlich Sinn macht.
- Zwei Zentrale Entscheidungskriterien (Projekt oder Prozess/Linie?) sind der Grad an Komplexität und/oder Neuartigkeit einer Aufgabe.
- Je komplexer und/oder je neuartiger eine Aufgabenstellung ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Bearbeitung als Projekt Sinn macht.
- Diese sehr grundlegende Differenzierung sollte im jeweiligen Unternehmen mit möglichst klaren Faktoren messbar gemacht werden (–> klare Projektkriterien). Trotzdem sind die Grenzen häufig fließend.
Ich halte diese Differenzierung für essenziell. Leider ist sie noch immer nicht Teil des Management Basiswissens unserer Zeit.
Was mich weiters beschäftigt ist eine zusätzliche Differenzierung ein zu führen in:
* innere Komplexität (dh Projektinhalte und -ziele)
* äußere Komplexität (dh Umweltendynamik und Gesellschaft)
Diesen Fragestellungen bin ich gerade auf der Spur und freue mich auf eine Diskussion.
http://blog.poczynek.org/2008/09/ii-systemebenen-des-projektmanagements.html
sunshine!
JAP