Wenn Erfolg blind macht

stickerei_kriseIch kann ohne Übertreibung behaupten, dass ich einen erheblichen Teil meiner Jugend im väterlichen Stickereibetrieb verbracht habe. Im Nachhinein bin ich dafür sehr dankbar, denn in dieser Zeit habe ich unheimlich viel gelernt. Aber darüber wollte ich eigentlich gar nicht schreiben…

Die Textilindustrie (und im Speziellen die Stickerei) hatte in Vorarlberg (und hier wiederum im Speziellen in meinem Geburtsort Lustenau) eine enorme Bedeutung. Leider muss man das in der Vergangenheitsform schreiben, denn die ehemalige Leitindustrie wurde bereits vor Jahren durch andere Industrien in der wirtschaftlichen Bedeutung überholt.

Kürzlich lese ich auf „Vorarlberg Online“, unserem regionalen Internetportal, dass die Stickereiindustrie (wieder einmal) in massiven Schwierigkeiten steckt. Der Niedergang hat sich angesichts der massiven Dollar-Abwertung in Nigeria weiter beschleunigt.

Ich habe vier zentrale Thesen, warum die Textil- und Stickereiindustrie in Vorarlberg nun am Boden liegt:

1) Der große wirtschaftliche Erfolg in den 70er und 80er Jahren hat die meisten geblendet. Man dachte, es würde immer und ewig so weiter gehen. Diese Selbstüberschätzung macht träge und behindert Lernprozesse.

2) Die gesamte Branche wurde über Jahrzehnte hinweg auf Effizienz getrimmt („Die Dinge richtig tun.„). Innovationen und weitreichende strategische Weiterenwicklung (der Produkte, Technologien, Zielmärkte, Vermarktung…) spielten lediglich eine untergeordnete Rolle („Die richtigen Dinge tun.„).

3) Es wurden zwar früh eine Innung und sonstige Vereinigungen etabliert, faktisch fand aber kaum eine nachhaltige Zusammenarbeit in strategischen Themenfeldern statt. Angesichts des immer härter werdenden Wettbewerbs hat sich das „Einzelkämpfertum“ weiter verschlimmert.

4) In der Stickereibranche arbeiten hervorragende, umsetzungsstarke Unternehmer/innen, geniale Verkäufer und gewifte Geschäftsleute der alten Schule. Leider wurde es verabsäumt, dieses hervorragende Know-How mit modernen, jungen Querdenker/innen zu kombinieren. Die Brücke in das 21. Jahrhundert konnte in vielen Bereichen nicht gebaut werden.

Die Vorarlberger Stickereiwirtschaft ist ein „gutes“ Beispiel dafür, dass Erfolg eben leider auch blind und träge machen kann. Leider…

5 Gedanken zu „Wenn Erfolg blind macht“

  1. Ein etwas ähnlich gelagertes Beispiel ist der Handelskonzern, in dem ich letztes Jahr tätig war. Dort leistet man es sich trotz teilweise sinkender Umsätze noch einen eklatant hohen Anteil der Energie in politischen Querelen und Absicherung von Entscheidungen durch andere Entscheider zu verbrennen. Einen Umdenken scheint in dieser klassische aufgestellten Organisation scheint noch nicht eingesetzt zu haben, auch wenn es sich um einen der ganz Großen handelt.

    So kann denn nicht nur Erfolg blind machen, auch die politischen Spiele in einem Unternehmen können erheblich schwächen und Innovation bremsen bzw. verhindern.

  2. Es gibt reichlich Parallelen. Die Automobilindustrie zum Beispiel. Was wir als Automatisierer und Softwaredienstleister in der Produktionssteuerung erlebt haben, zeichnet exakt das gleiche Bild.

  3. die fehlenden Brücken sind leider breit verteilt. Merkwürdig ist nur dass dies kaum strittig ist!
    Auch die genialen Verkäufer und gewiften Geschäftsleute werden den Thesen vermutlich zustimmen. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung liegt bei diesen Themen immer wieder erstaunlich weit auseinander. Im Ergebnis läuft die Kritik oft dann folgenlos ins Leere.

  4. Meine Heimatstadt und ein paar Nachbarstädte durften das von Dir geschilderte Szenario in den 80ern am eigenen Leibe erfahren. Bis zum bitteren Ende zum wirtschaftlichen Ruin ganzer Landstriche. Hier baute man auf die blühende Textilindustrie, ganze Fabriklandschaften entstanden. Lagerfeld verdiente hier seine Sporen und heute zeugt nur noch die ein oder andere Brache und ein kleiner Museumsturm vom einstigen Erfolg.

    Junge Menschen wandern ab, die Innenstadt vergreist und verweist, da das Handelsvolumen der Gegend sinkt. Aus Fabrikhallen werden „Megamärkte“, welche ebenfalls leblos in der Gegend herumstehen. Der Stadtrat gibt sich wirklich Mühe, dem Trend entgegenzuwirken und scheint ein wenig aus den Fehlern früherer „Städtesterben“ gelernt zu haben. Aber viel Hoffung auf eine blühende Zukunft sehe ich nicht.

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