Mein Kollege Hanno Rhomberg hat mir heute früh einen überaus spannenden Artikel aus der November-Ausgabe des Harvard Business Review (HBR) geschickt: „Die Erfahrungsfalle“ von Kishore Sengupta und Tarek K. Abdel-Hamid und Luk N. Van Wassenhove (Teil 1, Teil 2)
Die Autoren haben ein umfangreiches Experiment mit Hunderten von Führungskräften durchgeführt. Ziel war es aufzuzeigen, warum Projekte (insbesondere IT und Softwareentwicklungsprojekte) immer wieder aus dem Ruder laufen. Einige Auszüge aus dem Artikel:
- „Offenbar haben sie [die Projektmanager] bei neuen Entscheidungen nicht die Konsequenzen früherer Entscheidungen berücksichtigt, und auch nach schlechten Ergebnissen änderten sie häufig nichts an ihrem Vorgehen.“
- „Wer eine Entscheidung trifft, stützt sich auf sein vorhandenes Wissen, in der Wissenschaft als mentales Modell bezeichnet. Mentale Modelle bestehen größtenteils aus Annahmen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen zur Umwelt.“
- „In der Praxis treten Ursache und Wirkung zeitversetzt auf, und es ist mitunter schwierig, sie miteinander in Verbindung zu bringen.“
- „Offenbar waren sie [die Projektmanager] nicht in der Lage, die Auswirkungen von Verzögerungen bei ihrer Planung zu berücksichtigen.“
Der Artikel zeigt wissenschaftlich fundiert und wirklich eindrucksvoll auf, wo aus meiner ein echtes praktisches Problem besteht: Gerade sehr erfahrene (Projekt)Manager/innen stützen sich in ihrem Entscheidungsverhalten primär auf ihre jahrelange Erfahrung. Dadurch ist ihr Verhalten auch häufig intuitiv geprägt. Intuition und erfahrungsbasiertes Verhalten ist grundsätzlich nichts Schlechtes, sondern – wie es Prof. Dr. Kruse in diesem Video formuliert hat (sinngemäß;im letzten Drittel des Videos) – die wirkungsvollste Strategie im Umgang mit komplexen Problemen. ABER: Intuition wird in Situationen ausgebildet, in denen Menschen am Rande der Überforderung stehen (in Projekten also praktisch permanent). Folgende Fragen drängen sich auf:
- Ist die aktuelle Situation noch vergleichbar mit jenen, in denen die früheren Erfahrungen gemacht wurden (und somit die Intuition ausgebildet wurde).
- Haben wir aus unseren früheren Erfahrungen überhaupt GELERNT? Haben wir die Erfahrungen kritisch reflektiert und daraus die richtigen Schlüsse abgeleitet?
Die erste Frage wird im oben genannten Kruse-Video thematisiert. Die zweite Frage im Harvard Business Review Artikel vom Sengupta/Abdel-Hamid/Van Wassenhove.
Gut, das Problem ist einigermaßen umrissen. Aber wie könnten Lösungsansätze aussehen (siehe hierzu auch den HBR Artikel)?
- Mehr kognitives Feedback erteilen – Feedback über Projektergebnisse
- Besseres Verständnis über die Gesamtsituation gewinnen –> modellbasiert entscheiden (Ich persönlich verwende hierzu den Consideo Modeler oder auch einfache MindMaps – siehe hierzu auch diesen kontrovers diskutierten Blogbeitrag)
- Verhaltensziele statt quantitativer Vorgaben (geht vom Prinzip her auch in Richtung des Agilen Manifests)
- Projektsimulatoren entwickeln
- Effektivere Projektinitiierungs- und -planungsphasen
Fazit: Ich würde Euch wirklich empfehlen, 10 Minuten Eurer Zeit in den HBR Artikel zu investieren.
Hallo Herr Hagen,
vielen Dank für den Artikel. Ich denke, enorm wichtig ist auch die Aufstellung eines realistischen Zeitplans. Gerne
Guter Denkanstoss! Aus meiner Sicht kommen hier zwei Faktoren zusammen: Zum einen der (vermeintliche) Zeitdruck und zum anderen die mangelnde Ausbildung/Erfahrung der meisten Projektmanager im Umgang mit Denkwerkzeugen.
Intuition & Erfahrung sind dann unverzichtbar, wenn eine sofortige Reaktion erforderlich ist, z.B. im Kampf oder bei einer kritischen Situation im Auto. Diese Unmittelbarkeit ist in den meisten Entscheidungssituationen im Projekt nicht gegeben, auch wenn sich die meisten Manager so fühlen. Da meinen wir sofort entscheiden zu müssen, obwohl wir weder die Situation verstanden haben, noch wissen welche Folgen die jeweilige Handlungsoption hat. Und Nachdenken oder Analysieren wird oft als Zeitfresser empfunden.
Erfahrung & Intuition funktionieren dann hervorragend, wenn sie in einer bekannten Situation angewendet werden oder die Situation durch eine einfache Ursache-Wirkungsbeziehung gekennzeichnet ist. Diese komfortable Ausgangsposition findet sich in den meisten Projekten nicht, da ein Projekt definitionsbedingt immer ein neuartiges Unterfangen ist, und in der Regel als soziales System auch komplex arbeitet, d.h. die Ursache-Wirlungsbeziehungen funktionieren meistens nicht direkt und linear, sondern „über Bande und zeitverzögert. mit verschiedenen Dynamiken.
Derartige systemische Modelle spielen mit wenigen Ausnahmen in der Ausbildung von Betriebswirten und Ingenieuren, die das Gros der Projektleiter bilden, keine Rolle. Ebenso Kreativitätstechniken wie De Bono’s Thinking Hats oder Lean Thinking Tools wie 5W, Ishikawa-Diagramme etc.
Hier sehe ich einen wesentlich Ansatzpunkt, die „klassische“ Ausbildung der Projektmanager zu verändern: Weniger Standardprozesse, dafür mehr Denkwerkzeuge, um Antworten auf neue Herausforderungen selber entwickeln zu können.
auch von mir vielen dank für die zusammenstellung. ich glaube aber auch, die wenigsten zeigen die grösse, fehler von früher zuzugeben und sind auch bereit daraus zu lernen.
Juhu, danach hab ich ewig gesucht, danke!!!
Wäre schön, wenn Du auch mal bei mir vorbeischauen würdest. Aber muss nicht sein. 😉
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