Update vom 18.3.2010:
Heute widme ich mich mal einer verhältnismäßig trivialen Frage, nämlich: „Wann ist ein Projekt ein Projekt?“ –> Sprich: Wann ist eine Aufgabe PROJEKTWÜRDIG?
Nach DIN 69901 wird ein Projekt wie folgt definiert:
„Ein Projekt ist ein Vorhaben, das im wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet ist, wie z. B.: Zielvorgabe, zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Bedingungen, Abgrenzungen gegenüber anderen Vorhaben und projektspezifische Organisation.“ (siehe hierzu auch: Projektdefinition auf Wikipedia bzw. im PM Glossar)
Das ist auch jene Definition, die man in den meisten Lehr- und Fachbüchern wieder findet. Allerdings halte ich persönlich diese Definition NUR FÜR BEDINGT TAUGLICH, wenn es darum geht, Projekte von anderen Aufgaben zu unterscheiden. Denn in der Praxis erlebt man häufig folgende zwei Extreme:
- So gut wie alles ist ein Projekt. („Projektitis„)
- So gut wie nichts ist ein Projekt.
HYPOTHESE: Der Projektbegriff wird in der Praxis unscharf und vielfach falsch verwendet. Aufgaben, die nicht wirklich projektwürdig sind, werden als „Projekte“ bezeichnet und bearbeitet.
LÖSUNGSANSATZ: Wir sollten uns auf die drei ZENTRALEN KRITERIEN konzentrieren, um Projektaufgaben von Routine-/Linien-/Prozessaufgaben zu unterscheiden (= Projektwürdigkeit). Diese sind:
- Komplexität
- Neuartigkeit
- Teamarbeit notwendig
Denn sobald eine Aufgaben komplex und neuartig ist und nicht in Einzelarbeit gelöst werden kann, ist die Bearbeitung als Projekt in der Regel sinnvoll und notwendig. In diesen Fällen ist eine Projektorganisation zu etablieren. In allen anderen Fällen sind die Aufgaben in der Linien- oder Stammorganisation zu lösen.
Nun kann man die berechtigte Frage stellen: Kann eine Aufgabe auch komplex und NICHT neuartig sein? Ja, es gibt in Organisationen natürlich auch so etwas wie „Routineprojekte“, die bis zu einem gewissen Maß standardisierbar sind. Beispiele:
- Produktentwicklungsprojekte / Innvoationsprojekte –> stardardisierbar über Innovationsprozesse / Stage-Gate-Modelle
- IT-Projekte –> standardisierbar über Vorgehensmodelle / Projektprozesse
- Kundenprojekte / kundenspezifische Lösungen –> standardisierbar über Vorgehensmodelle / Projektprozesse
ABER: Auch Projektarten, die in Unternehmen regelmäßig durchgeführt werden, können niemals vollständig standardisiert werden, da sie IMMER auch neuartige Elemente enthalten. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich nicht um Projekte, sondern um standardisierbare (Geschäfts)Prozesse.
FAZIT: Sobald Aufgaben in Organisationen KOMPLEX und NEUARTIG sind und nur in TEAMARBEIT gelöst werden können, sollten sie als Projekte bearbeitet werden. Für diese Projekte sollten dann die Projektkriterien zeitliche Befristung, messbare Ziele/Zielvorgaben, definierte Ressourcen, projektspezifische Organisation etc. gelten.
Hallo,
meines Erachtens nach sollte auch die Einmaligkeit der Anforderungen als zusätzliches Kriterium aufgenommen werden. Handelt es sich bei bisher unbekannten Aufgaben ausschließlich um KOMPLEXE und NEUARTIGE Herausforderungen, so können diese auch über Prozesse / Linien-Organisation abgewickelt werden – wobei dann natürlich die Definition dieser Prozesse zum Projekt wird! 🙂
Grundsätzlich kann ich nur zustimmen: „Der Projektbegriff wird in der Praxis unscharf und vielfach falsch verwendet.“
@Sly_Old_Fox: Danke für den Input!
Ich persönlich empfinde das Kriterium der Einmaligkeit als etwas irreführend, darum habe ich es nicht verwendet. Begründung:
Einmaligkeit könnte auch suggerieren, dass die Aufgabenstellung in seiner Gesamtheit einmalig ist. Allerdings glaube ich, dass dies eben nicht der Fall sein muss. Denn wie beschrieben können Projekte auch einen Routinecharakter haben (allerdings niemals vollständig standardisierbar).
Entsprechend liegt für mich das Kriterium der „Neuartigkeit“ zwischen den beiden Extremen „Einmaligkeit“ und „Standardisierbarkeit“. Neuartigkeit = relative Einmaligkeit + relative Standardisierbarkeit (z.B. durch Projektprozesse).
Bin ich mit dieser Definition auf dem Holzweg?
hallo Stefan,
volltreffer. mein standardbeispiel in vorträgen: „wenn eine sekretärin nach 5 jahren beschließt ihre kästen und ablage neu zu organisieren, dann ist das kein projekt.“
„Das ist alles sehr kompliziert!“ –
sagte good old Fred Sinowatz seinerzeit.
ich denke das übel beginnt schon damit, das viele nicht einmal KOMPLEX und KOMPLIZIERT*** unterscheiden können. wie sollen sie dann projekte identifizieren.
ich bin ganz bei Dir Stefan und würde die leitunterscheidung gerne noch mit einem größenaspekt ergänzen:
* komplex
* neuartig
* von einer einzelperson nicht lösbar
anderenfalls wären aufgaben von einzelpersonen wie zum beispiel grundlagenforschung oder kreative akte auch „projekte“.
mehr zur „komplexitätsreduktionsillusion“: http://ow.ly/1ld38
sunshine!
Jan A. Poczynek
*** komplexität ist (im gegensatz zu kompliziertheit) durch detaillierung und modellbildung nicht zu durchdringen. sie bleibt in gewissem außmaß unkontrollierbar.
@Jan: Stimmt, „von einer Einzelperson nicht lösbar“ sollte in die Liste noch mit aufgenommen werden! Ich warte mal ab, welche Inputs sonst noch kommen und werde den Beitrag dann entsprechend adaptieren.
Crowdsourcing rocks 😉
@Sly_Old_Fox
die neuartigkeit ist auch sehr irreführend… warum?
sie ist gewissermaßen immer da!
selbst wenn sich die inhalte eines projektes (oder anforderungen) nicht verändert haben, sind dessen umwelten permanent veränderlich. das ist wiederum sehr oft eine komplexe wechselwirkung. siehe systemebenen des projektmanagements: http://ow.ly/1ldkd
sunshine!
Jan A. Poczynek
ich denke da sind wir uns weit gehend einig 🙂 wenn auch mit etwas anderer Gewichtung hatte ich das auch schon mal aufgeschrieben (da war der Aspekt der Gruppe auch enthalten)
http://www.pentaeder.de/projekte/2009/06/15/wann-ist-ein-projekt-kein-projekt-reload/
Ich hätte auch gerne den Teamaspekt auf der obersten Entscheidungsebene dabei. In der Praxis gibt es sie leider häufig die Ein-Personen-Projekte 😉
@Patrick @Eberhard @Jan: Gebe Euch vollkommen recht! Werde dieses Kriterium ergänzen.
Ich finde die Definition nach IPMA eigentlich für sehr hilfreich:
* neu/einmalig (wurde ja bereits diskutiert)
* definierte Ziele vorab (ein Projekt muss ja ein Ziel haben)
* zeitlich begrenzt
* begrenzte Resourcen (Mitarbeiter/Sachmittel etc)
* in einer Organisation (z.B.: ein Team)
* interdisziplinäre Zusammenarbeit (z.B.: ist Fachpersonal verschiedener Themenbereiche beteiligt)
* komplex (nicht kompliziert)
noch ein Hinweis: Es ist klar, dass nicht ALLE Bedingungen erfüllt sein müssen. Wie die DIN ja auch sagt: „.. im Wesentlichen..“ Z.B. würde ich „komplex“ oder „interdisziplinäre Zusammenarbeit“ nicht als MUSS ansehen, wohl aber „in einer Organisation“ oder „neu/einmalig“.
Hallo Stefan,
ich denke diese Frage ist in keinster Weise trivial, denn so wie ich Projekt verstehe, so werde ich auch als Organisation und als Mensch mit Projekten umgehen. Ohne eine klare Begrifflichkeit, was ein Projekt ist, wird der Begriff beliebig und wird entsprechend gelebt – alles oder nichts ist dann ein Projekt.
Neben den hier schon angesprochenen Elementen, Einmaligkeit, Neuartigkeit, Komplexität und der Unmöglichkeit, dass die Aufgabe nicht von einem erfüllt werden kann, möchte ich noch ein weiteres Element vorschlagen: Der Projektauftraggeber oder -owner ist nicht Teil des umsetzenden Teams.
Ich denke, dass es eine wesentliche Aufgabe des Projektmanagers ist, das Problem oder den Wunsch des P-Auftraggebers zu verstehen und dann unter der Anwendung verschiedener Werkzeuge mit und durch das Projekt-Team dieses Problem zu lösen oder den Wunsch zu erfüllen.
Ich finde, dass dieses soziale, konstruktive Spannungsfeld Projektauftraggeber, Projektmanager und Projektteam ein wesentliches Element von Projekten darstellt.
noch liebe Grüße aus Wien, Gernot
@Christian: Wir sind uns einig, dass die IPMA Projektdefinition nach wie vor Gültigkeit hat. Wir sollten nur unterscheiden:
– Projektkriterien: Welche Kriterien sollte ein Projekt erfüllen?
– Projektdefinition: Wann ist ein Projekt ein Projekt?
Die 2. Fragestellung ist wichtig, um überhaupt projektwürdige Aufgaben zu identifizieren. Und hier sind insbesondere folgende Punkte relevant:
– Komplexität
– Neuartigkeit
– nicht in Einzelarbeit lösbar
Wenn diese Punkte mit „JA“ beantwortet werden können, handelt es sich (in der Regel) um eine projektwürdige Aufgabenstellung. Und für diese projektwürdige Aufgabenstellung sollten dann in weiterer Folge die Projektkriterien (nach IPMA oder auch nach der DIN) Gültigkeit haben.
Hallo Gernot,
ich stimme Dir zu, wenngleich für mich dieser Punkt ein Detail der Projektkriterien darstellt.
Mir ging es bei den genannten Punkten insbesondere um jene Punkte, die zur Differenzierung zwischen Projekt- und Routineaufgaben wesentlich sind.
Grüße nach Wien! Stefan
da bin ich wohl etwas spät – alles schon gesagt 🙂
Ein Hinweis noch – in der neuen ICB 3.0 ist das Thema „Komplexität“ angesprochen und wird aktuell in Diskussionen (z.B. in der GPM) ausgearbeitet.
Wir sind also nicht allein auf der Spur…
Und wann wir dann die Linienorganisation endlich abgeschafft?
😉
Generell eine gute Idee, die Definition auf das wesentliche zu konzentrieren.
Ich würde dem nur gerne noch ein Kriterium hinzufügen:
– zeitlich befristet (Start- und Endtermin)
Dies stellt für mein Dafürhalten ein absolutes K.O.-Kriterium für die Projektdefinition dar.
Viele Grüße!
Ich finde die Fragestellung ebenfalls alles andere als trivial. Allein die unterschiedlichen „Definitionen“ seitens PMI, IPMA, DIN etc. machen den Projektbegriff in meinen Augen schwer greifbar. Die Herangehensweise, zwischen KANN- und MUSS-Faktoren zu unterscheiden, ist eine gute Idee. ich würde den Begriff „riskant“ jedoch nicht mit aufnehmen, hat einen zu negativen Touch. Riskant wird es in meinen Augen est dann, wenn bestimmte Grundvoraussetzungen nicht erfüllt sind.
Als Alternative schlage ich „viele Unbekannte“ vor. Also Dinge, die ich nicht vorhersehen kann; man muss „planen“.
Viele Grüße
@Matthias: Wir sind uns einig, dass die zeitliche Befristung ein zentrales Projektkriterium ist.
Ich denke aber nicht, dass es ein Kriterium für die Auswahl von Projekten ist. Denn die zeitliche Befristung wird durch den Auftraggeber, den Projektleiter und das Team definiert. Die Auswahlkriterien, um die es mir geht, sind sozusagen eine Stufe vorher (siehe Grafik).
Hallo Stefan & Freunde des PM-Blogs,
die Diskussion ist wirklich spannend, da man in der Realität oft über besagte „ich sortiere meine Ablage neu“-Projekte stolpert.
Das Kriterium der Einmaligkeit könnte, wenn genauer definiert, noch zur Entscheidung beitragen.
In meinen Augen bezieht sich die Einmaligkeit auf die Durchführungsvoraussetzungen. D.h. sozialer, sachlicher und zeitlicher Kontext des Vorhabens kann in der gegebenen Konstellation nicht erneut auftreten.
Komplex, neuartig und nicht in Einzelarbeit lösbar können durchaus auch Vorhaben sein, die durch die Linienorganisation unter Verwendung eines definierten Geschäftsprozesses bearbeitet und gelöst werden.
viele Grüße,
Docster
@Stephan: Danke für deine Rückmeldung.
In unserem Unternehmen stellt die zeitliche Befristung durchaus ein K.O.-Kriterium dar bei der Entscheidung Projekt-ja, oder nein. Komplexe Aufgabenstellungen ohne zeitliche Befristung bearbeiten wir (Gesundheitswesen) meist in Form von interdisziplinären Qualitätszirkeln, Netzwerken, u.ä.
Ich kann aber auch deiner Argumentation sehr gut folgen.
Ich denke, dass wichtigste ist es, im Unternehmen das Gleiche unter dem Projektbegriff zu verstehen…
Viele Grüße und weiter so! Ich bin häufig auf deinem Blog, finde die Beiträge, Downloads und auch die Diskussionen sehr bereichernd!
Hallo,
danke für die interessanten Beiträge in diesem blog-
für mich stellt sich auch das Thema des „Projektdenkens“ im kleinen-
auch für kleine Aufträge, die Abarbeitung von Prozessen usw. kann man sich selbst ein „Tages-Projekt“ vorgeben-
die Resourcen der zwei Kollegen, die man braucht, dazu eine kleine Bestellung über ein paar Euro, Endtermin unbedingt vor 17:00 Uhr usw. Natürlich erfolgt die Planung im Kopf, aber diese 5 Minuten Denk- und Planungspause helfen mir oft, den Tag zu strukturieren, zu priorisieren oder eine vorschnell begonnenen, unsinnigen Auftrag gleich wegzulassen.
hallo miteinander,
die Bedeutung der Urspungsfrage kann man gar nicht überschätzen. Aus meiner Erfahrung ergibt sich für eine Organisation, die sich auf das Projektgeschäft eingelassen hat, die Notwendigkeit eindeutig zu definieren was ein Projekt ist und was nicht. Über die Kriterien ist oben fast alles gesagt. Ich habe in meiner Praxis noch andere Kriterien dabei berücksichtigt: strategische Bedeutung, Teamgröße und Risikopotenzial. Bei der Festlegung würde ich neben den o.g. Kriterien auch die Struktur der Projektlandschaft des Unternehmens in Betracht ziehen. PM gibt es nicht zum Nulltarif. Die Ausprägungen der einzelnen Kriterien müssen den Aufwand an PM rechtfertigen. Schließlich geht es auch um die Ressource Projektmanager. Solche qualifizierten (Führungs)Kräfte sollten auch für eine entsprechend anspruchsvolle Aufgabe eingesetzt werden. Die Frage, wann Projektwürdigkeit gegeben ist muss jedes Unternehmen für sich entscheiden. Dass in einem Unternehmen überhaupt definiert ist was Projekt ist und was nicht halte ich für wichtiger.
Hallo Stefan,
der Begriff „Projekt“ hat bei vielen Leuten heute schon einn negativen Eindruck. Die Aussage hierzu lautet meistens: Jeder redet von einem Projekt, aber keiner kann genau sagen, was damit gemeint ist. Deshalb ist es tatsächlich umso wichtiger der Begriff zu definieren.
Bei Ihrer Definition von Projekt über die Begriffe der Komplexität und Teamarbeit hab ich selber aber das Problem, daß mir die beiden Begriff zu abstrakt sind. Wann fängt Komplexität an? Wer bestimmt, wann etwas komplex ist?
Wann beginnte Teamarbeit? Auch 2 Personen können schon ein Team sein, habe ich dann ein Projekt?
Komplexität und Teamarbeit müssen weiter heruntergebrochen werden in ihrer Definition, um den Begriff Projekt zu stützen.
Vielen Dank für die Anregung zu dieser Diskussion. Sie hilft hoffentlich fernab von DIN den Begriff „begreifbar“ und transparent zu gestalten.
Beste Grüße aus dem Taunus
Cornelia Kiel
Hallo Stefan, hallo miteinander,
hier nun noch eine Anmerkung zu diesem Beitrag und den Diskussionen.
„Projekt“ bedeutet laut Duden einfach Plan oder Vorhaben und kommt vom lateinischen „projektum“, das so viel wie das „nach vorne Geworfene“ (siehe Projektion, Projektil, etc.) bedeutet.
Aufbauend auf diesem recht einfachen Verständnis möchte ich nun die Frage einfach leicht änderen und wie folgt formulieren: Wie muss bzw. soll ein Projekt beschaffen sein, damit man es managen muss oder soll. Oder wie soll oder muss ein Projekt beschaffen sein, damit der Einsatz der Werkzeuge und Methoden des Projektmanagements hilfreich und sinnvoll sind.
Mit dieser Fragestellung kann man dem Begriff „Projekt“ eine einfache und für jedermann leicht akzeptable Bedeutung lassen und legt den Schwerpunkt auf die Frage ob, wie und wann „managen“, sprich auf die Frage, wie gehen wir am besten mit unserem „Vorhaben“ um, wie behandeln wir es, ist es „managens-wert“ etc.
Was hält Ihr davon?
Bin schon gespannt, Gernot
Hallo zusammen,
ich denke die Diskussion geht in eine falsche Richtung. M.E. ist die Definition nach DIN schon okay. Da bin ich absolut bei Dir Gernot. Die Frage ist, was wir unter managen verstehen. Auch einen Umzug oder „Ablage aufräumen“ muss ich irgendwie managemen. Wenn ich dafür jedoch die gesamten ICB oden den vollständigen PMBoK aufbiete mach ich was falsch.
Ich finde es gut, dass die Definition „Projekt“ unaufgeregter geworden ist.
Tschau mit V