„Lasst uns das doch pragmatisch angehen…“

Ich bin genervt. Mich nervt es, dass ich immer häufiger erlebe, dass Menschen (vor allem Top Führungskräfte) komplexe Probleme maßlos trivialisieren. „Lasst uns das doch pragmatisch angehen…“ lautet ein gern und oft gehörter Appell. Damit outet sich der oder diejenige als Macher, als Pragmatiker, als Umsetzer. Und alle im Raum nicken fleißig. (Außer diejenigen, die die komplexen Probleme am Hals haben und lösen sollen.)

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Einfache, pragmatische Lösungen sind super. Nur leider greifen sie zu kurz, wenn wir es mit komplexen Probleme und komplexen sozialen Systemen zu tun haben. Peter Kruse bringt dies in diesem kurzen Interview genial auf den Punkt:

Besonders gefährlich ist unzulässige Vereinfachung dann, wenn es um betriebliche Veränderungsvorhaben und Change Projekte geht. Denn hier bedeutet Pragmatismus in der Umsetzung häufig, dass man „endlich mal hart durchgreifen muss“. Schluss mit dem Kuschel-Kurs – endlich sagt mal jemand, wo es lang geht. Diese Maxime geben Top Führungskräfte gerne mal an die nächste Führungsebene aus. Damit ist das Problem elegant „nach unten“ delegiert. Und die Lösung ist doch so einfach, oder nicht?

Aber auch hier gilt es zu differenzieren: Ich bin davon überzeugt, dass Führungskräfte (gerade in dynamischen Zeiten) Orientierung geben müssen, indem ihr Verhalten an Werten orientiert und damit berechenbar ist. Einfache, nachvollziehbare Spielregeln werden immer wieder kommuniziert, eingefordert und deren Einhaltung gefördert. Trotzdem schaffen diese (post-heroischen) Führungskräfte Freiräume für Partizipation, Austausch und GEMEINSAME BILDER. Denn diese gemeinsamen Bilder sind es, die eine wichtige Basis für die Bewältigung komplexer Probleme sind. Dann entsteht das, was Kruse als „kollektive Intuition“ bezeichnet.

FAZIT: Je komplexer Situationen und Probleme sind, umso mehr tendieren Menschen offensichtlich dazu, genau den falschen Weg einzuschlagen – nämlich den Weg der (unzulässigen) Vereinfachung. Natürlich sollten wir einfache Lösungen anstreben, aber dies darf nicht dazu führen, dass wir Situationen trivialisieren. Der Vereinfachung muss der Prozess des Verstehens vorgelagert sein. Erst, wenn das komplexe Problem in seiner Gesamtheit verstanden wurde, sind wir überhaupt in der Lage, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden und damit die „Hebel“ im System zu erkennen.

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8 Gedanken zu „„Lasst uns das doch pragmatisch angehen…““

  1. Kann ich auch nur zustimmen. Aber komplexe Probleme anzugehen bedeutet ZEIT und MODERATION und ÜberDenTellerRandBlicken. Wer kann das noch? Ich erlebe häufig, dass komplexe Sachverhalte geistig gar nicht mehr verarbeitet werden können, weil man gewöhnt ist, dass Probleme in der 50 SekundenTalkshowRedezeit dargestellt werden müssen. Für den projektverantwortlichen Berater bedeutet das, dass er max 50 Sekunden hat, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erlangen UND ihr Interesse zu wecken, damit er weitere 3 Minuten bekommt, in denen er die Lösung darstellen darf. Eine Herausforderung, aber keine die Spaß macht!

  2. Ich kann Ihrem guten Artikel nur zustimmen. Erlebe ich auch in der Projektarbeit immer wieder – bevor das Problem wirklich beschrieben und verstanden ist, werden bereits Lösungen entwickelt. Selbstredend „pragmatische“ Lösungen; oft eigentlich ein Schimpfwort.

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