Rückblick
In den letzten Jahren hat sich mein Eindruck einer gewissen „Lagerbildung“ im Projektmanagement verstärkt.
- Auf der einen Seite steht die (nach wie vor große) Gruppe der meist erfahrenen und etablierten „Projektmanager/innen der alten Schule“ (klassisches PM).
- Auf der anderen Seite steht die „agile Community„, häufig die „jungen Wilden„, die meist in IT-Umfeldern tätig sind (agiles PM).
Natürlich handelt es sich hierbei um eine stark verkürzte und vereinfachende Darstellung. Die Realität ist selbstverständlich weitaus differenzierter und vielfältiger. Ich denke aber, dass die Tendenz stimmt.
Unterschiedliche Sicht- und Herangehensweisen sind ja an und für sich nichts Schlechtes. Aber sie sollten dazu führen, dass beide Seiten voneinander lernen können, und durch die Unterschiedlichkeit etwas Besseres entsteht. Genau das ist im Projektmanagement aus meiner Sicht bislang noch nicht passiert. Etwas überspitzt formuliert sind häufig folgende Haltungen und Glaubenssätze anzutreffen:
- Die Vertreter des klassischen Projektmanagements halten agile Vorgehensweisen nur für einen Modetrend, der mit „richtigem Projektmanagement“ nichts zu tun hat. Außerdem sind SCRUM & Co. „doch nur in bestimmten Bereichen der Softwareentwicklung“ anwendbar.
- Die „Agileros“ hingegen halten die bisherigen PM Methoden überhaupt für unbrauchbar, denn schwierige Projekte sind ja „ohnehin nicht im Detail planbar„. Und überhaupt verstehen die „Old Economy (Projekt)Manager“ nichts von „modernen, selbstorganisierten Ansätzen und Organisationsformen„.
Diese gegenseitige Abgrenzung bringt uns nicht weiter! Wir brauchen eine sinnvolle Integration der verschiedenen Konzepte, Sichtweisen und Modelle. Vor allem aber brauchen wir eine fundierte Diskussion auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Dimensionen. Damit das gelingen kann, brauchen wir Menschen,
- die offen für Neues sind,
- die bereit sind, ihre persönliche Komfortzone zu verlassen,
- die Andersdenkenden auf Augenhöhe begegnen und
- die Tag für Tag an ihrer eigenen Professionalität arbeiten, sprich lernwillig und -fähig sind.
Nun aber zurück zum Thema. Mit dem Modell „Integriertes Projektmanagement (IPM)“ habe ich versucht, eine Diskussionsgrundlage „ins Rennen zu werfen“. Denn es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir in Zukunft das Gemeinsame, das Verbindende viel stärker ins Zentrum rücken müssen, um den neuen Herausforderungen zu begegnen. Also weniger „entweder-oder“ und mehr „sowohl-als-auch“. Es gibt nicht „das richtige Projektmanagement“, sondern vielmehr viele verschiedene Aspekte, Richtungen und Herangehensweisen, die zum Erfolg führen können.
Das IPM-Modell schlägt eine Integration in zwei Dimensionen vor:
- Horizontale Integration: klassisches Projektmanagement (deduktives, planorientiertes Management im Dreieck „Scope – Budget – Time“) UND agiles Projektmanagement (iteratives, kommunikationsgetriebenes Vorgehen in selbstorganisierten Teams).
- Vertikale Integration: Fokus auf die Menschen mit ihren Potenzialen, Bedürfnissen und Emotionen UND Schaffung eines strategischen, strukturellen und kulturellen Umfeldes (= Systemgestaltung), in dem Kollaboration und Teamarbeit gelingen kann.
Ich muss zugeben, dass das Thema so umfangreich und vielfältig ist, dass mir Präsentationen, Fachartikel, Blogbeiträge etc. immer wieder als ungeeignete Form erscheinen, um ausreichend in die Tiefe zu gehen. Denn in Wirklichkeit geht es um ein neues Verständnis von Organisation, Führung und Management für das 21. Jahrhundert, um es etwas pathetisch auszudrücken.
Trotzdem der Versuch, die Grundidee von IPM auf knapp 50 Folien zu skizzieren:
Ausblick
Die überwiegende Anzahl von Unternehmen, die ich in der Praxis erlebe, benötigen ein individuelles, differenziertes und maßgeschneidertes Konzept, um ihr Projektmanagement weiter zu entwickeln und zu professionalisieren (vgl. „Wider die zunehmende Verdosung des Projektmanagements“ von Hinz/Poczynek; PDF). Dem versuche ich auch mit dem IPM-Ansatz Rechnung zu tragen.
Gleichzeitig möchte ich den Anspruch dieses Modells relativieren. Denn IPM ist…
- eine Diskussionsgrundlage,
- ein Gerüst für Diskussion und Entwicklung aber auch
- ein Bezugs- und Orientierungsrahmen für die Entwicklung spezifischer Strategien und Vorgehensweisen zur Entwicklung und Professionalisierung von Projektmanagement in Organisationen.
Meine Ziele und Vorsätze für das kommende Jahr sind in diesem Zusammenhang:
- Praktische Anwendung in möglichst vielen Projekten und OE-Prozessen
- kritische Diskusson, Reflexion und Weiterentwicklung des IPM Modells
- Integration zukunftsorientierter Ansätze aus den Feldern Systemlehre und -theorie, Organisation, Organisationsentwicklung und Change Management, Führung und Management, Lernen und Personalentwicklung, Gehirnforschung etc. pp.
Über eine weiterhin kritische Diskussion zu dem Thema würde ich mich sehr freuen!
Moin ..
Der Fehler hier liegt darin, dass es zum einen diese Lagerbildung nicht gibt weil es agile Methoden und Vorgehen auch im „klassischen PM“ gibt. Wer verkürzt Projekt Management eigentlich immer auf Wasserfallmodelle?
Man sollte endlich aufhören Vorgehensmodelle mit Projekt Management Methoden zu verwechseln!
Immer wieder werden hier Äpfel mit Birnen verglichen … und dann auch noch versucht man diese zu kreuzen…
Zum anderen sollte man auch aufhören ständig neue Namen für angepasste Modelle zu entwickeln. Meist ist es der gesunde Menschenverstand gepaart mit angepasster Methodik, die hier verkauft werden soll.
Alles schön mit akademischen Anstrich!
Also bitte: Ein guter PM wählt sein Vorgehensmodel und passt die Methodik an. Führung kann man nicht lernen sondern muss ein PM mitbringen.
BTW: Ich verwahre mich nicht gegen den Artikel sondern gegen die immer wieder vertretene These der „Lagerbildung“ und der Verwechslungen…
Lieber Jens v. Gersdorff,
zuerst danke für den konstruktiv-kritischen Kommentar!
Ich bin in drei Punkten anderer Meinung:
a) In meiner Wahrnehmung gibt es sehr wohl eine Lagerbildung, wenngleich diese sicher nicht dramatisch ist, da haben Sie schon recht. Mir ging es aber bei der Aussage mehr darum aufzuzeigen, dass oftmals noch das Trennende über das Verbindende gestellt wird. Und dies sollte sich aus meiner Sicht ändern.
b) Die Unterschiede zwischen klassischen und agilen Ansätzen bestehen in wesentlich weitreichenderen Punkten als nur den Vorgehensmodellen. Es liegen völlig andere Werte, Grundannahmen, ja ein völlig anderes Verständnis von Organisation, Führung und Management zu Grunde.
c) Ihre Meinung, dass man Führung nicht lernen kann, teile ich überhaupt nicht. Alles, was wir in unserem Leben (gut oder schlecht) tun, haben wir irgendwann mal gelernt. Richtig ist, dass manche Menschen wohl mehr Talent und Potenzial mitbringen, um Führungsaufgaben und -funktionen zu übernehmen. Aber selbstverständlich kann man sich als Führungskraft persönlich weiter entwickeln.
Ich bin auf die weitere Diskussion schon sehr gespannt.
Viele Grüße,
Stefan
Ich gebe dem Herrn von Gersdorff durchaus Recht, dass da und dort die Sichten PM und Vorgehensmodell zu leicht in einen Topf geworfen werden. Absolut nicht zustimmen kann ich dsbzgl, dass man Führung nicht lernt, sondern (nur) mitbringt. Es ist sicher korrekt, dass bestimmte Persönlichkeitstypen Führungsansprüche mit sich bringen – differenzierte Führungsansätze und -techniken gibt es dann allerdings doch zu lernen, hat doch alleine die Menschheit einige Jahrhunderte damit verbracht völlig unterschiedliche Führungsmodelle zu entwickeln. Spätestens wenn ich mir gängige PM-Modelle wie jene der PMI oder IPMA ansehe, ist dann nicht mehr so klar erkennbar, ob PM unbedingt agile Methoden vorsieht oder nicht evtl eher völlig gegen deren Denkrichtung angelegt ist.
Ich möchte den Bedarf nach integrierten Ansätzen von Dir Stefan unterstützen. Warum sehen wir trotz allmächtiger PM-Methodensets immer noch Studien, die gerade in IT-Projekten mehr als 50% der Kandidaten ein Scheitern attestiert (gerade erst wieder bei Forrester)? Meines Erachtens liegt der größte Handlungsbedarf im Überdenken von Management- und Führungsssystmene insgesamt, sowie deren Implementierung in der täglichen Projektpraxis. Manager und PM sollten sich eben nicht als commander & contro(l)ler verstehen, sollten Selbstorganisation und bessere Kundenintegration fördern und Projekte als adaptive Strukturen verstehen, die tatsächlich Veränderung als Notwendigkeit unserer Geschäfte und nicht als Böswilligkeit unserer Vertragspartner achten. Der Galube an die absolute Planbarkeit, der Vorwegnahme der Zukunft, ist überholt – vielzu viel Zeit wird mit Planung, Schätzung und Reporting vergeudet, anstatt dieselbe Energie in echte Wertschöpfung einzubringen.
Eine etwas differenziertere Sicht habe ich bzgl. der „Agilos“. Ich glaube, dass dieser Begriff nach mehr als 10 Jahren agiler Methoden weit überholt ist. Agile Methoden sind da und absolut keine Nische mehr – spätestens seit ich McKinsey und Accenture als ‚Berater‘, ‚Coaches‘ für agile Organisationen sehe, ist das Bestätigung genug 😉 Vielmehr stellt sich die Frage, wie jene PMs, die seit Jahren Teams verheizen oder erst gar unmöglich machen, Projekte gegen die Wand fahren und Kunden verlieren, an alterntive Sichten herangeführt werden können?! Gerade da kommt Dein integrierter Ansatz, Stefan, wahrscheinlich recht.
Lg
… Und auch von mir noch ein vergessener Nachtrag …
PMI hat zwar einen Agile Practitioner aufgelegt, der findet aber absolut keinen Zusammenhang mit dem hauseigenen PMBoK – also auch hier noch Bedarf an Integration 😉
Moin Zusammen …
Es ist immer wieder schön, wenn Diskussionen kontrovers und doch konstruktiv sind.
In der Ausbildung zum PMP/PMI wird immer wieder auch von einem sogenannten „rolling wave planing“ gesprochen, welches im groben ein iteratives Vorgehen bedeutet, in denen sich die Aufgaben der nächsten Welle aus den Ergebnissen der vorhergehenden ergeben.
Richtig ist aber auch, dass dennoch ein Scope definiert sein muss. Denn kein Projekt kann ein Projekt sein, wenn sein Ziel nicht feststeht.
Ich stimme dem zu, dass man natürlich führen lernen kann. Allerdings in einem frühen Stadium des Lebens (in denen das Berufsziel PM bestimmt noch nicht gesetzt ist) müssen wichtige Werte gesetzt sein. Führen zu können setzt Softskills voraus, die man sich später nicht mehr aneignen kann. Ebenso bedarf es Werte! Ein selten angesprochenes Thema. Eine natürliche Autorität wird nicht auf Seminaren geboren, sondern in der Kindheit.
Das wir eine immens hohen Teil an gescheiterten Projekten haben, liegt mitnichten an den Methodiken, sondern daran, dass diese oft nicht verstanden sind. Weder vom Projekt Manager noch von der Auftraggeberseite. Wenn dieses Verständnis allerdings nicht vorhanden ist, ist eine der Aufgabe gemäße Anwendung und Anpassung nicht möglich.
Dieses Missverständnis liegt besonders im kontinentalem Europa in der Kultur der Wirtschaft begründet.
Der hier aufgezeigte Ansatz ist nicht verkehrt. Das möchte ich klarstellen. Mich stört allerdings, dass man jeder Selbstverständlichkeit einen Namen geben muss. Der Ansatz ist auch nicht neu, sondern findet sich schon in alten PM Büchern.
PM ist auch keine Tätigkeit, die irgendetwas mit Befehl und Gehorsam zu tun hat. Es ist nach den Prinzipien der Inneren Führung zu verstehen, was auch schon ein 50 Jahre altes Modell ist und kooperativ ausgelegt ist.
Führung ist in meinen Augen eben auch nicht „Befehlsgewalt“ oder Disziplinarische Vorgesetzenschaft. Vielmehr ist es ein Leiten und Motivieren.
Ein PM muss so flexibel sein, dass er in einem Team mit einer selbstorganisierten Gruppe genauso klar kommt wie mit der anderen Gruppe, die klare und eindeutige Anweisungen haben will. Nicht jeder Mensch ist in der Lage sich selber zu organisieren. In meiner Projekt Vita hatte ca. 30 – 50 % Mitarbeiter, die nicht mit Selbstorganisation klar kamen und Anweisungen haben wollten.
Im Ganzen regt es mich immer wieder auf, dass man Methoden versucht neu zu entwickeln anstatt die bestehenden doch einfach mal sinnvoll anzuwenden. Stattdessen wird mit immer neuen Methoden herumgedoktert…. und keine verstanden. Lesson learnd bedeutet auch, dass man die zugrunde liegende Methodik betrachtet und ob Fehler vielleicht passiert sind, WEIL man sich nicht dran gehalten hat!
Ob Agil oder Wasserfall (oder wie meist irgendwas dazwischen) hängt nicht an der Methodik, sondern an der Aufgabe und Vorgaben, die man hat.
CU
Jens
Da kann ich nur folgendes Buche empfehlen: APM – Agiles Projektmanagement: Erfolgreiches Timeboxing für IT-Projekte
http://www.amazon.de/APM-Projektmanagement-Erfolgreiches-Timeboxing–Projekte/dp/3898643867/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1325681292&sr=8-2
Ich finde, da werden Vorteile aus klassischen und agilen Methoden hervorragend kombiniert!
@Aron: Ich stimme Dir zu. Mir gefällt das Buch von Bernd Oestereich und Christian Weiss auch sehr gut.
Allerdings denke ich, dass der Integrationsgedanke noch weiter gehen muss. Aber ich möchte da jetzt nicht so „klugscheißerisch“ daher reden, als ob ich die „perfekte Lösung“ (die es ohnehin nie geben wird), schon hätte. Ich habe dazu ein paar Ideen, praktische Erfahrungswerte und ein grobes Konzept (eben das IPM-Modell).
Mir ist es vor allem ein anliegen, die kritisch-konstruktive Diskussion am Leben zu halten. Was daraus wird, wird man sehen.
LG, Stefan
@Michael: Vielen Dank für Deinen umfangreichen Input!
Ich bin bei Dir, dass wir vor allem die katastrophale Erfolgsquote im Projektmanagement als Anlass heran ziehen sollten, um über die PM-Praxis neu nachzudenken und kritisch zu reflektieren.
„Agileros“ habe ich keinesfalls abschätzig gemeint. Ich habe mir ehrlich gesagt den Begriff bei Jens Hoffmann abgeschaut (http://www.23actions.com/) 😉
In der Tat müssen wir wahrscheinlich über agile Organisationsgestaltung (Strategie, Strukturen, Kultur…) nachdenken. Die Anwendung agiler Werte, Grundsätze und Vorgehensweisen auf das Projektmanagement zu beschränken, greift sicher zu kurz.
In diesem Zusammenhang passiert ja schon einiges. Beispielhaft nennen möchte ich die neuen Beratungsangebote von McKinsey, Accenture & Co, die Überlegungen der Community rund um Jurgen Apello (http://www.management30.com/) oder auch die Ergebnisse der IBM CEO Studie aus dem Jahr 2010, in der „operative Agilität“ als eines der Kernthemen der zukünftigen Organisationsgestaltung nennen.
Viele Grüße!
Stefan
@Stefan: Was meinst du genau mit: „Allerdings denke ich, dass der Integrationsgedanke noch weiter gehen muss„. Meinst du das Menschenbild oder den Organisationsgedanken? Wenn ja, stimme ich dir einerseits zu. Andererseits kenne ich auch viele klassische Projektmanager, die dahingehen eigentlich eher agil denken und auch so handeln. Insofern sehe ich die Polarisierung gar nicht so arg. Mein Erleben ist eigentlich eher, dass es weniger die Projektmanager als mehr die Linienmanager sind, die ein mechanistisches Mitarbeiterbild haben, wenig von Motivation verstehen und Selbstorganisation als unkontrolliert ansehen. Vermutlich, weil sie oft schon etwas älter sind und zu einer Zeit selbst noch operativ gearbeitet haben, wo das eher noch der allgemeine Tenor war.
@Aron: „…Menschenbild oder den Organisationsgedanken?“ Ehrlich gesagt verstehe ich Deine Frage nicht ganz.
Was meine ich mit „Integrationsgedanke soll weiter gehen“ genau? Im Kern 2 Punkte (= horizontale + vertikale Integration):
1) Klassische und agile Ansätze effektiver miteinander zu kombinieren – nach dem Motto soviel klassisch wie nötig, soviel Agilität wie möglich.
2) Ganzheitliche Betrachtung, Gestaltung und Entwicklung von PM in Organisationen (Strategie, Struktur, Kultur).
@aron: Ich gebe Dir da wirklich recht. Allerdings mit der Erweiterung, dass es ein generelles Missverständnis zwischen Organisationsturnkuren (also Linie) und Projekten gibt.
Das Missverständnis ist beiderseitig.
Allerdings ist es in Europa fast unmöglich agiles Handeln in Projekten in einer starken, mechanisierten Linie zu implementieren.
Wie dem auch sei: Im Endeffekt arbeiten Projekte für die Organisation. Also muss unsere Handlungsstruktur auch an dieser orientieren. Sonst steigen die Missverständnisse und sinkt die Erfolgsquote weiter.
Ich würde also unter dieser Massgabe den Satz von Stefan etwas abändern wollen:
Soviel Agil wie nötig und soviel PM wie möglich 🙂
Jens
Ich finde diese Diskussion immer wieder spannend. Meine Erfahrungen:
– das Lagerdenken zwischen Agilisten und „klassischen PM“ existiert, ich finde es aber nur in der IT
– Die Methoden der IPMA und des PMI versuchen alle Projekte, also auch F&E-, Bau-, IT- und Organisationsprojekte, usw. in einer Vorgehensweise zu beschreiben. Viele nehmen gar nicht mehr wahr, dass sich diese Modelle gewandelt haben und die Themen soziale Kompetenz, Kommunikation und Leadership heute ganz anders lehren und behandeln.
– In den 50er Jahren wurde das ganze agile Thema unter dem Stichwort Lean Management versus Taylorismus behandelt und ich verstehe nicht warum die IT 60 Jahre danach immer noch die alten Diskussionen aufwärmt, in Verkennung, dass alle agilen Methoden schon lange angestaubt, aber auch bewiesen sind, nur eben in der Fertigung.
– meine Erfahrung zeigt, dass in der IT gerade die Missachtung und Ignoranz der Methodik zu gescheiterten Projekten führt und nicht umgekehrt. Wenn Siemens PG versuchen würde im Urwald ein Kraftwerk vollständig agil ohne etabliertes Vorgehensmodell und Prozesse zu bauen, wage ich zu behaupten, dass es ein Katastrophenprojekt würde. Dort lässt man aber auch nicht völlig unerfahrene Projektleiter, die gerade eben mal einen Kurs besucht haben, das Kraftwerksprojekt leiten.
– Oft ist in den Unternehmen das Major Project Management nicht auf Vorstandsebene sondern als Unterabteilung der IT, die wiederum Unterabteilung eines willkürlich ausgewählten Fachbereichs ist, angesiedelt. Wie soll der Leiter des MPM dann bitte schön einem fachlichen Vorstand Paroli bieten => das ist für mich wesentlich häufiger für das Scheitern großer IT-Projekte verantwortlich, weil Kompetenz ignoriert wird und interne Politik entscheidet. In anderen Fällen wird ein Projekt aufgesetzt und die Basis-Tools im Vorstand ausgewählt ohne dass man diese Entscheidung dem Projekt überlässt, das diese nach Analyse der Anforderungen wesentlich fundierter und oft auch anders treffen würde.
– ich habe sehr gute Erfahrungen mit der Mischung von agiler und klassischer Methodik gemacht und variiere in den von mir gecoachten Projekten die Methoden innerhalb eines Projektes je nach Aufgabe und zur Verfügung stehender Ressourcen.
Ich hatte neulich einen Vortrag vor dem P-Seminar der Q11 am Gymnasium. Thema PM macht Schule und habe den Schülern die Methodik erklärt, mit der man erfolgreich Projekte koordiniert. Danach hatte ich ein Feedback-Gespräch mit den Lehrern und bekam als Feedback, dass das meiste Sachen sind, die sie alle auch so in ihren bisherigen Projekten mehr oder weniger so gemacht haben, allerdings nicht so methodisch und intuitiv.
UND GENAU DARUM GEHT ES: PM ist nichts anderes als dokumentierter gesunder Menschenverstand, deswegen darf man diesen auch in seinen Projekten auch nicht abschalten => wenn formal etwas notwendig ist heisst das nicht das man es auch tun muss, viele Projektleiter von Nachbarprojekten, die ich bei Kunden erlebe, perfektionieren aber genau den Formalismus statt ihr Projekt wirklich zu steuern.
Ich erinnere mich auch noch an tolle Diskussionen mit meinem Prof an der Uni, darüber, dass die Patrizier und Fugger im Mittelalter bei Null-Wachstum einen dauerhaften Wohlstand in den Städten erwirtschafteten und mit Buchhaltung und Planung durchaus vorgegangen sind. Aus diesem Grund verweigere ich mich der Legende, dass der Anfang des PM bei den Amerikanern lag. Menschenverstand gab es auch schon bei den Ägyptern, Griechen und Römern …
Noch ein Aspekt als Nachreichung:
der beschriebene Integrierte PM-Ansatz wird aktuell seit der ICB 3.0 von der IPMA auch so gelehrt. Insofern stimme ich mit diesem Ansatz auch überein.
Balsam auf meiner geschundenen PM Seele!!
Dem kann ich nur zufügen:
STIMMT!!!!!
Danke
Jens von Gersdorff
Hallo zusammen,
finde die Diskussion extrem interessant (und vermeide damit das Wort „spannend“ ;-).
Jedem Teil kann ich etwas abgewinnen. Meine persönliche Erfahrungen decken sich mit euren. Ich finde aber Stefans Ansatz bzgl. der Integration unbedingt notwendig. Natürlich gibt es vieles schon aber was ist schon wirklich NEU, wenn wir ehrlich sind?
Die agilen Methoden wurden von der IT (in der ich selbst hauptsächlich tätig bin) nur übernommen. SCRUM, Kanban usw. sind doch nur Derivate/Ableitungen diverser Lean Management Methoden, die von den Japanern seit langer Zeit erfolgreich angewendet werden. Die Adaptierung an die IT folgt eigentlich nur einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Ich fang aber jetzt mal nicht mit Kondratjew-Zyklus usw. an :-).
Ich persönliche mache die Erfahrung, dass das PM Know-How gerade in verkrusteten Strukturen (Österreich…) oft gar nicht wahrgenommen wird. PM gilt als Bürokratie und oft sinnloser Aufwand. Zumindest so lange, bis die Teams erkennen, dass sie dadurch erst zum Erfolg kommen. Leider passiert das oft erst am Ende der Projekt – in der Reflexion.
Was ich persönlich total interessant finde ist, dass man ja im Prinzip tatsächlich den gesunden Hausverstand „wiederentdeckt“. Die Engländer leben diesen Hausverstand als sog. „common sense“ stark in PRINCE2 aus.
Mir gefällt dbzgl. auch der Punkt von Jens, dass das Thema Werte viel zu wenig Beachtung findet. Wie soll ein Projektteam erfolgreich sein, in dem Teammitglieder sitzen, die z.B. nie pünktlich sein mussten oder ehrlich oder kritisch…?! Da hilft auch kein PM-Guru oder Motivationskaiser (wobei ich generell denke, dass man Mitarbeiter bei interessanten Aufgaben nicht „motivieren“ muss).
Gerade die immer wichtigere Projektarbeit (danke Stefan für deine immer aktualisierten Statistiken) benötigt reife, selbstständige und unternehmerisch denkende Mitarbeiter. Die Zeit der Mitläufer ist noch nicht ganz vorbei aber fast. Niemand kann heute erfolgreich sein, wenn nur nach Schema F gearbeitet wird. Da helfen weder agile Methoden noch klassisches PM.
Insgeamt bin ich aber davon überzeugt, dass beide Welten zusammenwachsen müssen(sic!). Anders werden wir die immer komplexere Umwelt nicht meistern können. Frei nach Ashby können wir diese Variatät eben nur mit variantenreicheren/komplexeren PM-Methoden bzw. Vorgehensmodellen begegnen.
lg
günter
@Günter: Agree!