Bei ComputerWeekly.com ist dieser Tage ein Artikel mit dem Titel „Top 10 project management trends for 2012“ erschienen (@Nadja, danke für den Hinweis). Der Autor J. LeRoy Ward identifiziert folgende 10 Trends für 2012 (und darüber hinaus):
- Programm Management: Umfangreiche, komplexe Vorhaben in Unternehmen aber auch in der Politik / der öffentlichen Verwaltung werden vermehrt als Programme wahrgenommen und organisiert. Allerdings müssen auch die entsprechenden personellen und sonstigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
- (Webbasierte) Collaboration Software: Der Erfolg von Projekten steht und fällt mit der Kommunikation und Zusammenarbeit in Teams. Moderne Software Tools (insbesondere webbasierte Collaboration Tools) nehmen weiter an Bedeutung zu und werden in vielen Bereichen schon bald zur Standardausstattung im Projektgeschäft gehören.
- Lerntransfer: Die Projekt- (PMO’s) und Personalentwicklungsabteilungen fokussieren sich verstärkt auf den Transfer der Lerninhalte aus Lehrgängen, Seminaren, Coachings etc. in die Praxis (= Wirksamkeit von Personalentwicklungsmaßnahmen) und damit auf die Professionalisierung der Projektmanager/innen und des PM.
- Integrierte, hybride PM Ansätze: Unternehmen und Projektteams wenden vermehrt integrierte PM Ansätze an. Prinzipien, Methoden und Vorgehensmodelle aus klassischen und agilen PM Ansätzen werden für den jeweiligen Anwendungsfall sinnvoll miteinander kombiniert.
- Prozess- UND Projektmanagement: Die Organisations- und Arbeitsformen (Geschäfts)Prozessmanagement und Projektmanagement werden in der Unternehmens- und Organisationsentwicklung verstärkt miteinander kombiniert (Prozess- und Projektorientierte Organisation).
- Interne PM-Zertifikate vs. Zertifikate der großen PM-Verbände: Der Zertifizierungs-Boom im Projektmanagement war in den letzten Jahren enorm. Alleine die Zertifizierung zum PMP® haben weltweit ca. 470.000 Projektmanager/innen absolviert. Demgegenüber steht die steigende Bedeutung interner Zertifizierungs- und Weiterbildungsprogramme (vor allem in größeren Unternehmen und bei öffentlichen Körperschaften). Die Zertifikate der großen PM-Verbände werden weiterhin wichtig sein, doch die spezifischen Bildungsmaßnahmen nehmen an Bedeutung zu.
- Erfolgsmessung: Die für das (Multi)-Projektmanagement zuständigen Organisationseinheiten (meist PMO’s) in Unternehmen und öffentlichen Körperschaften werden die PM-Effektivität, den Projekterfolg sowie den Einfluss auf das Gesamtergebnis von Organisationen in Zukunft noch genauer messen und analysieren.
- Kampf um die besten Projektmanager/innen: Erfahrene und professionelle Projektmanager/innen werden in vielen Bereichen händeringend gesucht. Die wirkungsvollen Projektmanager/innen werden sich um ihre berufliche Zukunft keine Sorgen machen müssen.
- Kundenorientierung: „Wertschöpfung für den Kunden“ wird zur maßgebenden Erfolgsgröße im Projektmanagement. Die kundenzentrierte Betrachtung des Projekterfolges löst somit das „magische Dreieck der Projektziele“ (scope, budget, time) schrittweise ab.
- PM Assessment: Aufgrund der weiter steigenden Bedeutung versuchen die HR-Abteilungen vermehrt, die Leistungsfähigkeit und Professionalität von Projektmanager/innen mit so genannten Assessment-Tools zu messen.
Kritik
J. LeRoy Ward hat einige Trends identifiziert, die ich voll und ganz teile (z.B. # 2, 3, 4, 5, 8). Andere Punkte treffen in meiner Wahrnehmung aber auf Europa bzw. die deutschsprachigen Länder nur bedingt zu (z.B. # 1, 6, 7, 9, 10.). Begründung:
- ad. 1: Es wäre zwar dringend notwendig, große Vorhaben von strategischer Bedeutung als Programme abzuwickeln, eine wirklich deutliche Bewusstseinsbildung im Top-Management und in der Politik in diese Richtung (geschweige denn ein gezieltes Vorgehen in diese Richtung) sehe ich aber noch nicht.
- ad. 6: PM Zertifizierungen haben meines Erachtens in den USA einen wesentlich größeren Stellenwert als in Europa. Entsprechend kann ich den „Shift“ in Richtung interner Zertifizierungsprogramme noch nicht erkennen. Was ich hingegen absolut teile ist die implizite Kritik an den PM-Zertifizierungen, denn die sind meines Erachtens tatsächlich zu hinterfragen.
- ad. 7: Eine sinnvolle und gezielte Messung und Bewertung der Wirksamkeit und des Erfolges im PM ist unbestritten. Allerdings kann ich auch hier noch keinen wirklichen Trend in diese Richtung feststellen – leider.
- ad. 9: In meinem Verständnis ist das „Triple Constraint“ (Magisches Dreieck der Projektziele) aktueller und relevanter denn je. Denn die Stärke des Modells liegt genau in der Einfachheit. Den Trend in Richtung Kunden- und „Value“-Orientierung sehe ich natürlich schon auch. Ich verstehe aber nicht, warum wir deshalb das Triple Constraint in Frage stellen sollen?
- ad. 10: Das stärkere Hinterfrage der notwendigen Kompetenzen im Projektmanagement sehe ich sehr wohl als einen sehr wichtigen Punkt an. Aber auch hier ist meine Meinung: Eine Entwicklung in diese Richtung kann ich noch nicht feststellen.
Über eine rege Diskussion zu den PM Trends in 2012 (und darüber hinaus) würde ich mich freuen!
Lazy Project Management fehlt als Trend 🙂
Hallo Stefan,
Ich kann mich sehr damit anfreunden, wenn ein „Triple Contraint“ (magisches Dreieck, im Englischen noch schlimmer oft mit „iron triangle“ bezeichnet) in den Hintergrund tritt. Gerade die Einfachheit ist es, die meines Erachtens auch ein entsprechendes Trivialdenken im Projektmanagement fördert – nämlich dass scope, time, budget einfach plan- und einfrierbar seien und dann damit ein Projekt auf die Reise geschickt wird. Änderungen laufen dann über den netterweise professionell bereitgestellten Change Prozess.
Wir wissen mittlerweile (und das nicht nur in Softwareprojekten bzw. Projekten zur Erstellung immaterieller Produkte, dass die Welt nicht so einfach gestrickt ist, bzw. dass dies im Sinne „Customer Value“ meistens wenig Sinn macht. Dabei ist den meisten von uns klar, dass ein Festlegen aller drei Kanten des „Dreiecks“ und das eiserne Festhalten daran zu suboptimalen Projekten führt. Aber leider hat sich das eben noch nicht überall herumgesprochen.
Ein ebenso simples / triviales aber mir sympathischeres Modell ist jenes der „Success Sliders“ von Rob Thomsett aus dem „Radical Project Management“. Dieses simple Denkmodell hat für mich drei recht effektive Vorteile:
1) es gibt mehr als 3 Dimensionen, die ein Projekt in Hinblick auf Kundenanforderungen auszeichnen
2) es ist möglich diese Dimensionen zu gewichten (nicht immer spielt der Termin eine gleichbedeutende Rolle, man kann sich auch Eingeständnisse in der Qualität zugunsten eines früheren Termins vorstellen)
3) die Gewichtung der Dimensionen ist im Projektverlauf veränderbar. Ein regelmäßiges Reflektieren erlaubt eine Neuausrichtung entlang der Kunden- und Projektprioritäten.
Conclusio:
Ihh halte das „magische Dreieck“ vielerorts als missverstanden. Eventuell sollte man bei der grafischen Repräsentation die Geraden in Kurven abändern 🙂 Oft fehlt der Blick auf die nötige dynamische Interpretation. Insgesamt ist es nicht nur simpel, sondern zu selektiv bzw. für ein echtes Projekt zu engstirnig.
lg, Michael
wo fange ich an?
ad. 1
ich teile Stefans Ansicht
ad. 6 PM-Zertifizierungen:
wovon reden wir?
1. Leider werden hier immer Zertifizierungen von Vorgehensmodellen mit Zertifizierungen von Projektmanagementmethodik und skills vermischt (also PRINCE2, SCRUM, V-Modell versus PMI und IPMA)
2. ich teile weder die eine noch die andere Sicht: Interne Zertifizierungen werden vor allem deswegen angestrebt, weil sie billiger und zuverlässiger zu erreichen sind, da fällt keiner bei der Prüfung durch … . Oft vermitteln interne Zertifizierungen nur das hausinterne Vorgehensmodell, nicht jedoch die Skills. Bei uns machen alle IPMA-Zertifikate und ich hatte noch keinen, der dabei nicht massiv etwas gelernt hätte und besser geworden wäre und genau darum geht es doch. Ich selbst habe sogar in meinen Prüfungen noch etwas gelernt.
3. eine externe Zertifizierung dient dazu, dass neutrale Prüfer konstatieren, dass man das notwendige Fachwissen und die notwendigen Fähigkeiten besitzt (deswegen die Assessments der GPM) => damit handelt es sich hier um ein externes Assessment-Center von Profis, die sich mit dem Thema auskennen und nicht so leicht auf Selbstdarstellung hereinfallen wie ein Personaler.
ad. 7
auch hier teile ich die Meinung
ad. 9
1. ich glaube er hat Recht, dass dieser Trend existiert.
2. ich erlebe aber genau deswegen bei meinen Kunden Projektkatastrophen, weil Berater und Kunde diesen Irrsinn glauben.
3. In der Lehre wird schon seit fast 10 Jahren das magische Dreieck um Kundenzufriedenheit ergänzt. Und m.E. ist genau dies der richtige Ansatz: Das magische Dreieck ist die Basis und muss bleiben. Der Hauptaugenmerk ist und bleibt aber der Kundennutzen.
4. Wenn man nur den Kundennutzen betrachtet werden Projekte von Fachabteilungen zweckentfremdet und als Sammler für alle möglichen Wünsche verwendet, die nach Genehmigung des Projektes dann am Vorstand und dem Controlling vorbeigeschmuggelt werden (teilweise sogar Themen die explizit von der Firmenleitung abgelehnt wurden).
ad. 10:
ich glaube auch, dass das kommt, aber vor allem deswegen, weil sich die Ausbildungen PMI und IPMA zu stark kommerzialisiert haben und ihre Standards aufweichen, um große Zahlen zu erreichen.
Zu ad. 3:
ich teile nach meinen Erfahrungen diesen Optimismus nicht.
lg Roland
Hallo Stefan,
ich teile deine Kritik zu den Trends 2012 komplett!
Insbesondere die Sinnhaftigkeit der 9. Hypothese zum Magischen Dreieck sollte meines Erachtens in Frage gestellt werden.
Wenn ich in Schulungen das Projektmanagement mit nur einer einzigen Grafik erklären müsste, dann wäre es definitiv eine Grafik, die das Magische Dreieck darstellt. Nach meiner Auffassung ist die Kundenorientierung zwingender Bestandteil des scope managements eines Projektes, somit beinhaltet das triple constraint diese Kundenorientierung auch. Letztlich ist jeder Kunde (bzw. interner Auftraggeber) doch nur dann mit einem Projektprodukt wirklich zufrieden, wenn das Produkt seinen Vorstellungen (und Vorgaben) entspricht, aber auch der Termin eingehalten wird und die geplanten Kosten nicht überschritten werden. Somit wären wir also wieder beim Magischen Dreieck des Projektmanagements.
Somit kann es für mich eigentlich keine Diskussion „Wertschöpfung für den Kunden vs. Magisches Dreieck“ geben.
LG
Matthias Gehlen
@Roland Spengler:
ad 6. PM Zertifizierungen: Ich bin einfach generell skeptisch, was Zertifizierungen angeht. Denn implizit wird immer so getan, als ob eine bestandene Zertifizierung ein Indikator für Professionalität und Wirksamkeit eines/einer Projektmanager/in ist. Dem ist aber meines Erachtens nicht so. Entsprechend ist meine Ansicht: PM Zertifizierung schadet sicher nicht, da hier natürlich relevante PM Grundlagen gelehrt und trainiert werden. Im Sinne von G. Duecks „Professioneller Intelligenz“, die eigentlich notwendig ist, um anspruchsvolle Führungsaufgaben zu erfüllen, ist eine bestandene Zertifizierung aber kein schlüssiger oder objektiver Indikator.
Viele Grüße und vielen Dank für die spannenden Inputs!
Stefan Hagen
Volle Zustimmung meinerseits. Aber leider ist diese korrekte Beobachtung das, was der Markt leider daraus macht.
Die Intention (zumindest bei der IPMA-Zertifizierung) ist eigentlich eine 4-stufige Ausbildung im Projektmanagement für die sich sehr viele, gute Theoretiker und Praktiker Gedanken gemacht haben. Der angehende Projektleiter lernt in der ersten Stufe das Basiswissen, damit er überhaupt seine Aufgabe begreift und die wichtigsten Methoden und Fachbegriffe kennt (Level d). Dann wir darauf aufbauend sehr viel stärker an den Soft Skills gearbeitet und die sichere Anwendung der Methoden in den Mittelpunkt der Ausbildung gestellt (Level C und B), sowie für den Projektmanager zusätzlich auch der Fokus darauf zu lernen, wie er aus Fachpublikationen Wissen extrahiert und mit seinen Erfahrungen spiegelt, um aus den Publikationen anderer zu lernen (Level B).
Zu guter letzt kommt dann die Thematik der Programm und Portfoliosteuerung in Theorie und Praxis für den höchsten Level (Level A).
Ich hatte in meiner Prüfung 4 Prüfer: zunächst im persönlichen Assessment zusammen mit mehreren mir zugeordneten Projektgruppen (alles Level C und B Kandidaten) und der Methodenprüfung die Herren Dworatschek und Patzak, danach in der Ausarbeitung der Literatur und der eigenen Projektstudienarbeit im Prüfungsgespräch darüber die Herren Wolf und Berge.
Die beiden emeritierten Professoren haben mich richtig in die Mangel genommen und richtig im Planspiel geprüft, unter anderem darin, ob ich mich von einem Lenkungsausschuss so unter Druck setzen lasse, dass ich meine Methoden ändere und/oder meine Objektivität in der Bewertung meiner Projektteams verletze.
Die beiden Praktiker haben wirklich alle Schwächen meiner Ausarbeitungen analysiert und richtig haarige Fragen dazu gestellt, die ich dabei alle klarstellen konnte und dabei aber auch über meine Art der Ausarbeitung und deren Schwächen viel gelernt habe.
Kurzum, ich bin Stolz durchs Feuer gegangen zu sein und u.a. vor den Koriphäen auf dem Gebiet des Multiprojektmanagements meinen Level A verteidigt bzw. erworben zu haben.
Das Zertifikat ist für mich eine Bestätigung des erreichten in einer Momentaufnahme und es zwingt mich durch die Rezertifizierung beständig am Ball zu bleiben. Ich finde das nicht schlecht. Genau deswegen gehen aber auch meine angehenden Projektleiter nicht in Multiple Choice Fachwissentests und Referenzen die eh nicht geprüft werden , sondern alle zur GPM.
Negativ ist aber, dass mit den letzten Exklusivausschreibungen der Trainingspartner, erfahrene und sehr sehr gute Ausbilder, wie die GCA abgeschossen wurden und Nachfolger gekommen sind, die mir zu kommerziell ausbilden. Also lassen wir weiter unsere Prüfungsvorbereitungen von den Firmen durchführen, die unsere Mitarbeiter mit Praxisbezug nicht nur auf die Prüfung vorbereiten, sondern echt ausbilden. Ein fader Nachgeschmack bleibt aber und daher eine gewisse kritische Distanz und der Drang sich aktiv in den Verband einzubringen. (siehe oben)