Analoge und digitale Welt
Für mich fühlt es sich so an, als ob Menschen heutzutage in zwei unterschiedlichen Welten leben (können) – und dies auch (teilweise) tun:
- analoge Welt: In der analogen Welt finden reale Begegnungen zwischen Menschen statt. Hier tauschen wir uns aus, wir streiten und lachen zusammen. In der analogen Welt passiert die Wertschöpfung in Form von Produkten und Dienstleistungen.
- digitale Welt: Durch die informationelle Vernetzung (Internet, Web 2.0, Social Media, Enterprise 2.0, Mobile, Cloud Computing…) ist in den vergangenen Jahrzehnten eine „Parallelwelt“ entstanden, nämlich die digitale Welt. Hier findet vermehrt praktisch dasselbe statt wie in der analogen Welt, nur eben digital.
Gewiss bringt dieser Wandel nicht nur Vorteile mit sich. Aber es nützt auch nichts, dies als Begründung herzunehmen, sich der Entwicklung zu verschließen. Im Gegenteil! Für die meisten Unternehmen wird es überlebenswichtig sein (oder ist es sogar jetzt schon), die neuen technologischen Möglichkeiten zu erkennen, zu verstehen und in die Strategien, Prozesse, Strukturen und schlussendlich in die Organisationskultur zu integrieren. Das verstehe ich unter Enterprise 2.0!
Wertewandel
Die technologischen Innovationen sind verhältnismäßig trivial. Komplex und langfristig entscheidend ist der Wertewandel, der damit verbunden ist (als Resultat und Voraussetzung gleichermaßen).
Einige Aspekte dieses (Werte)Wandels möchte ich beispielhaft aufzeigen (vgl. Stiehler/Schabel 2012: Wissensarbeiter und Unternehmen im Spannungsfeld; Thesenpapier):
- Die Bedeutung der Wissensarbeit nimmt immer stärker zu. Und auch das produzierende Gewerbe muss sich „smart“ aufstellen, um langfristig wettbewerbsfähig sein zu können. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologie nimmt in diesem Zusammenhang immer mehr eine Schlüsselfunktion ein.
- Neue Medien und Technologien haben die Welt schlagartig transparenter gemacht. Die Auswirkungen auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sind offensichtlich und nicht umkehrbar. Diese Transparenz ist Segen und Fluch zugleich – der achtsame Umgang damit essenziell.
- Die viel zitierte „explodierende Komplexität“ ist (leider) nicht nur ein Buzz Word. Durch die Vernetzung ist die Informationsdichte und die Rückkopplung derselben dramatisch gestiegen.
Vor allem Führungskräfte sollten (endlich) die analoge UND die digitale Welt verstehen, um ihre Organisation zukunftsorientiert aufzustellen und zu führen. Dazu ist aber nicht nur ausreichendes Wissen über die Technologien, Möglichkeiten und Gefahren notwendig. Vor allem brauchen wir eine neue Wertehaltung in der Gestaltung, Führung und Steuerung von Organisationen.
Hier ein Versuch einer Gegenüberstellung (vgl. Communardo, E2Innovate, Community of Knowledge):
Enterprise 1.0 | Enterprise 2.0 |
analoge Welt | analoge + digitale Welt |
(im Zweifel) Misstrauen | (im Zweifel) Vertrauen |
Fokus auf Management | Fokus auf Führung |
Hierarchie | (systemisch gestaltete und geführte) Netzwerkorganisation |
Menschen = Ressource | Menschen = Sinn und Zweck |
Fokus auf Prozesse und Strukturen | Fokus auf (reife) Kommunikation und Teamarbeit |
Intransparenz (Standard = kein Zugriff) | Transparenz (Standard = Zugriff) |
Push | Pull |
teilen, trennen | verbinden, integrieren |
Wissen besitzen | Wissen teilen |
read-only | read/write/comment |
Unternehmenskommunikation | Mitarbeiterkommunikation |
Projektmanagement 1.0 | Projektmanagement 2.0 |
Formalismus | Agilität |
Technologie = IT-getrieben | Technologie = Nutzer-getrieben |
Nun gehöre ich keinesfalls zu jenen, die
- das Neue bedingungslos und unkritisch befürworten und
- das Alte für überholt halten.
Wir benötigen vielmehr eine sinnvolle Integration des Bewährten (= Teilmenge des „Alten“) und des Neuen auf einer höheren Entwicklungs- und Reifestufe. Denn die neue Welt wird eben nicht mehr in Richtig-Falsch- bzw. Schwarz-Weiß-Logiken funktionieren. Vielmehr geht es in einer komplexen Welt darum,
- möglichst viele relevante Informationen zu sammeln,
- achtsam zu analysieren und zu bewerten und
- daraus (gemeinsam) die richtigen Maßnahmen und Schlüsse abzuleiten.
Jene Unternehmen, die den Wandel zum „Enterprise 2.0“ schaffen, werden schon sehr bald einen signifikanten Wettbewerbsvorteil haben. Denn sie können
- mit Komplexität und Vielfalt wesentlich besser umgehen,
- folglich schneller lernen und sich neuen Umweltbedingungen rascher anpassen und
- bieten gleichzeitig ein attraktives Arbeitsumfeld für talentierte, motivierte und selbstbewusste Mitarbeiter/innen.
Relevanz für das Projektmanagement
Selbstverständlich bietet sich gerade die Zusammenarbeit in Projekten an, diese neuen Technologien, Arbeitsweisen, Prinzipien und Werte auszuprobieren und zu integrieren. Denn gerade in Projekten ist wirkungsvolle und gezielte Kommunikation das Erfolgsfaktor #1.
Aber auch hier gilt: Der Einsatz innovativer Kommunikationstechnologien kann nur dann funktionieren, wenn Bewährtes und Neues sinnvoll integriert werden.
Weiterführende Informationen
- HAYS Wissensarbeiter Studie
- IBM CEO Study 2012
- Dell Studie „Evolving Workforce“ (3. Auflage 2012)
- Die Zukunft der Arbeit ist da (imgriff.com)
- Wie das Web 2.0 Machtstrukturen ändert (Süddeutsche)
- Wie wir morgen arbeiten (Süddeutsche)
Sehr interessanter Artikel, Stefan. Er will uns etwas sagen und greift, glaube ich, ganz wichtige Themen auf. Aber ich kann Deinem Gefühl (Du schreibst ja: „Für mich fühlt es sich an, als….) nicht ganz folgen, wahrscheinlich einfach, weil Du mehr Raum bräuchtest, als ein Blogartikel hergibt, um Dein Gefühl so auszudrücken, dass das Gefühl Dritter ins Mitschwingen käme. Bitte führe in Deinen nächsten Blogeinträgen Deine Bildern weiter aus. Ich glaube, es lohnt sich.
Du siehst also zwei Parallelwelten, die analoge und die digitale. Das ist für mich zwar verständlich, aber nicht nach-fühlbar. Für mich ist z.B. unsere beider Interaktion ebenso real, als wenn wir zusammen den Arbeitsplatz teilen und täglich miteinander ein Bier trinken würden, obwohl wir uns nur in der digitalen Welt unterhalten.
Aber anyway: Dann zitierst Du einen spannenden Vergleich zwischen den Unternehmen 1.0 und 2.0 (darf ich in Anlehnung an Popper et al. nur von Unternehmen 1 und Unternehmen 2 sprechen, ohne die Versionsnummernotation der SW-Entwickler zu übernehmen?). In der ersten Zeile steht bei Unternehmen 1 nur „analoge Welt“ und bei Unternehmen 2 „analoge + digitale Welt“. Sollte es nicht vielmehr heissen:
„1 hat analoge und digitale Welt getrennt,
2 hat analoge und digitale Welt integriert“?
Weil weiter unten steht ja dann, dass teilen und trennen eine Eigenschaft von Unternehmen 1 sei, während integrieren und verbinden zu Unternehmen 2 gehört. Und auch Unternehmen 1 können sich ja vor der digitalen Welt nicht abkapseln. Sie können versuchen, sie zu ignorieren, eine Haltung, die sie früher oder später einholen wird.
Was mir aber unklar ist, ist der Zusammenhang zwischen „analoge und digitale Welt integriert“ und „Vertrauen, Transparenz, Pull“. Hier braucht es die Beschreibung der gedanklichen Zwischenschritte. Irgendwie ganz diffus erahne ich Zusammenhänge. Aber ich glaube, man müsste sie deutlich machen.
Ich glaube, jede Zeile der Tabelle wäre einen Blogartikel wert. Interessant ist ja auch die Zeile „Fokus auf Management „Fokus auf Führung“. Inwieweit ist „Führung“ nicht einfach die deutsche Übersetzung von „Management“? „Mein Manager“ ist mein direkter Linienvorgesetzter, aber ich möchte bitte sehr nicht „mein Führer“ sagen müssen ;-).
Es gibt Leute, die ersetzen die „Manager“ in Unternehmen 1 durch „Leader“ in Unternehmen 2 und „Management“ durch „Leadership“. Das hatten wir auch schon und trifft irgendwie auch nicht, was wir meinen.
Wir brauchen in Unternehmen 2 auch eine neue Sprache. Aber, verdammt, mir fällt auch nichts Gescheites ein….
Gute Analyse, aber als Projektmanager mit technischem Background sträuben sich bei mir etwas die Nackenhaare bei den Buzzword-Bezeichnungen „analog“ und „digital“. Auch wenn ich grundsätzlich anerkenne, dass Buzzwords eben dabei helfen können einen Sachverhalt schneller zu kommunizieren, so will ich doch darauf hinweisen, dass das im Artikel beschriebene Phänomen weniger mit der Digitaltechnik per se als vielmehr mit dem gesellschaftlichen Wandel zur asynchronen Kommunikation zu tun hat. Oder anders ausgedrückt: die Welt verwendet jetzt das Internet als ein riesiges Pinboard um untereinander Zettel-Nachrichten auszutauschen.
Die „Analoge Welt“ wie oben beschrieben ist nichts weiteres als das Verhaltensweisen von Menschen, die aufgrund der technischen Vorraussetzungen gezwungen sind immer direkt mit anderen zu sprechen um überhaupt effektiv kommunizieren zu können (Briefpost war zwar auch schon immer möglich, aber im Vergleich zum Telefonat einfach zu ineffektiv). In so einer Situation ist die Kommunikationszeit des einzelnen Menschen begrenzt – er kann nicht gleichzeitig zwei Telefonate oder Meetings führen. Sie ist dafür aber auch umfassender und man erhält ein direktes Feedback.
Der Kommunikationsstil der „Digitalen Welt“ basiert auf kurzen Botschaften die zeitverzögert zwischen den Kommunikationspartnern ausgetauscht werden. Dadurch kann der einzelne zwar mehr Informationen pro Zeit empfangen und vermitteln, allerdings leidet auch die Qualität des Verständnisses untereinander.
Eine vernünftige Kommunikation im Projekt sollte sich immer beider Methoden bedienen. Man muss wissen, wann eine indirekte Kommunikation Vorteile bringt und wann es besser ist seine Kommunikationspartner zu einem klassischen (zeitintensiven) Meeting zusammenzurufen. Zu denken man könne irgendwann jedes Projekt auch effektiv nur über Twitter steuern, ist ein Irrglaube.
Hallo zusammen,
ich stimme Peter Addor zu, dass dieser Artikel und vor allem die Tabelle Stoff für weitere Blogbeiträge und die Auseinandersetzung darüber liefert!
Mir ist folgender Absatz besonders aufgefallen, da ich eine Abweichende Wahrnehmung habe ;):
Ich halte das nicht für einen Selbstläufer. Für mich ist der Weg zu einem erfolgreichen 2.0 Unternehmen keineswegs ein risikoloser und automatisch erfolgreicher.
Ich bin überzeugt: Viele Unternehmen, die ihre Zukunft davon abhängig machen, unbedingt 2.0 zu werden, verlieren ihre Existenz.
Schon allein deshalb, weil wir kulturell die Integration von digital und analog keinesfalls gemeistert haben.
Dennoch hier die (eigennützige) Bitte:
Liebe Unternehmen macht Euch schnell alle auf den Weg in die 2.0 Welt! Je mehr es zeitgleich wagen und damit scheitern, desto mehr und schneller lernen wir damit umzugehen.
In diesem Sinne danke ich jetzt schon allen, die beim Versuch untergehen für ihre – im wahrsten Sinne des Wortes – existentiellen Erkenntnisse!
Grüße
Gebhard
PS: Ein anderer Aspekt, über den wir ja schon persönlich diskutiert haben, sind die fehlenden Geschäftsmodelle. Solange die Wissensarbeit nicht breit wirtschaftlich sichere Existenzen ermöglichen kann, sollten wir uns als Gesellschaft davor hüten, zu schnell 2.0 zu werden.
Hier bin ich ganz Traditionalist und traue der Virtualität nicht weiter über den Weg als Morpheus ;).
Ein extrem spannendes Thema, welches ich ebenfalls am 18. Juli in meinem Logbuch reflektiert habe (http://blog-conny-dethloff.de/?p=1335).
Aus meiner Sicht lässt der eine Regelraum, nämlich der der „Digital Visitors“, auf dem die Geschäftsmodelle in Unternehmen derzeit basieren, keinen „wirklichen“ Wandel zum Enterprise 2.0 zu. Wir reden zwar immer von Enterprise 2.0, sind aber noch weit davon entfernt. An immer wieder heiß diskutierten Themen wie Datenschutz und Urheberrecht lässt sich das belegen. Es gibt aber noch einen zweiten Regelraum, nämlich den der „Digital Natives“. Dieser ist in vielen Fragestellungen absolut konträr zu dem ersten, weshalb es auch in Unternehmen oft zu kulturellen Dissonanzen kommt.
Details habe ich im oben gelinkten Post angeführt.
Ein spannendes Thema, das mich auch schon einige Blogposts lang beschäftigt (hier der letzte: http://misc.raitner.de/2012/07/projekt-management-ein-widerspruch/#more-2669).
Ich glaube aber, dass das Phänomen digital / analog weder Ursache noch Kern der Entwicklung von neuen Modellen der Unternehmens- und auch der Projektführung trifft. Offensichtlich ist: Die Wissensarbeit nimmt zu, gerechnet als Anteil an der gesamten Wertschöpfung (wenigstens in westlichen Industrienationen) aber auch bezogen auf die Wissensarbeitsanteile innerhalb jeder Tätigkeit. Damit fällt die tayloristische Legitimation für Management im klassischen Sinn komplett weg und es beginnt die Suche nach Alternativen Organisationsformen. Die Tendenz beschreibt Gary Hamel in seinem Buch „The Future of Management“ sehr anschaulich: es geht Richtung Selbstorganisation statt Hierarchie und in Richtung vielfältigen, strategischen Handlungsoptionen statt blindem Effizienzstreben.
Das alles hat mit der Frage analog / digital nur insofern zu tun, als die rein digitale Wissensarbeit, allen voran die Softwareentwicklung, das Paradebeispiel für Wissensarbeit ist und dort diese Fragen eher diskutiert und in Form von alternativen Prozessen (agil) und mit vielfältigen digitalen Werkzeugen implementiert wurden. Der Gap zwischen analoger und digitaler Welt ist also eher eine Folge als eine Ursache. Oder anders ausgedrückt: Microblogging in einem ansonsten für Wissensarbeit hinderlichen Umfeld mit starrer Hierarchie und unflexiblem Effizienzdenken, ist keine Lösung, sondern nur neue Farbe auf dem alten Haus.
Hallo Marcus,
danke für Deinen Beitrag! Ich finde die Frage, die sich darin verbirgt, die allerdings nicht wirklich gestellt wird sehr wichtig:
Ist die Unterscheidung Digital/ Analaog eine Unterscheidung/ Abgrenzung, die uns weiter hilft?
In der Form, wie Conny in seinem Blog darauf schaut schon (Werteunterschied). In der Form wie Stefan es hier im Blog tut – so mein Empfinden – eher nicht (wirtschaftlicher Erfolgsfaktor).
Ich denke, Virtualität oder Digitalität eine wichtige menschlich kulturelle Auseinandersetzung. Auf der wirtschaftlichen Seite sehe ich noch zu wenige gesellschaftlich tragbare Geschäftsmodelle, um Unternehmen ernsthaft en gros zu empfehlen, ihre Existenz darauf zu wetten.
Es geht eben nicht um gut oder schlecht, richtig oder falsch, wirtschaftlich erfolgreich oder nicht.
Es geht nach wie vor um leben und sein, in dieser unserer Zeit.
Das ist die stimmungsvolle Seite der Auseinandersetzung zwischen Digital und Analog (erinnert mich übrigens an die Diskussion in der Musik der 80er Jahre als Queen keine Rockband mehr war, weil sie Synthies einsetzen ;)).
Für eine Aussage, ob sich hier ein wirtschaftlicher Megatrend abzeichnet sind wir noch zu wenig in der 3. Epoche angekommen.
Gruß
Gebhard
Mensch, Herr Hagen, da haben Sie ja ein Riesenfass aufgemacht ;-). Ich sehe es ähnlich wie Peter Addor: „… jede Zeile der Tabelle wäre einen Blogartikel wert“. Vielleicht greifen Sie diese Idee tatsächlich auf und schlagen im den nächsten Wochen auf Ihrer Blogseite „schluckzessive“ einige handliche Fässchen an, in Köln allgemein als „Pittermännche“ bekannt.
Was mich beim Lesen Ihres Artikels vor allem beschäftigt hat:
1. Der Begriff „digital“ ist m. E. viel zu positiv besetzt, demgegenüber wird „analog“ verknüpft mit der „alten Welt“, deren Uhr – nämlich Uropas analoge Taschenuhr 😉 – nun abgelaufen ist.
Wenn wir aber jeweils vom Wort ausgehen, stellen wir fest: „analog“ ist griechischen Ursprungs und bedeutet „gemäß dem Wort / dem Denken / der Vernunft“. Und bei „digital“ denke ich zunächst einmal an ein kleines Kind, das mit seinen Fingern (lat. „digitus“) rechnet bzw. buchstabiert. Anders gesagt: Die Schöpfung war schon immer hochkomplex und analog, der Web-Mikrokosmos ist nur ein „kindlich-vereinfachendes“ digitales Abbild der realen Welt. Geniale Vereinfacher wie John von Neumann haben (mit Erfolg!) den Weg geebnet, die Komplexität unserer Umwelt für uns Menschen verständlicher zu machen – durch Codierung, sprich Reduktion auf Nullen und Einsen.
2. Ähnlich wie mit analog/digital ist es mit „Enterprise 1.0 / 2.0“. Die letztere Bezeichnung wird ja nach dem durchschlagenden Erfolg von „Web 2.0“ ganz analog (!) verwendet für ein „Unternehmen der Zukunft“ (kleine Randnotiz: Auf dem Friedhof der verstorbenen IT-Firmen findet man viele Grabsteine mit den Namen ehemaliger „Unternehmen der Zukunft“: Digital Equipment, Honeywell Bull, Nixdorf etc. etc. – mal schau‘n, wie viele Jahrzehnte Microsoft oder Facebook noch vergönnt sind).
Im Gegensatz zum Web gibt es „enterprises“ aber nicht erst seit ein paar zig, sondern seit tausenden von Jahren. Wenn wir also nur zwei Schubladen mit den Schildchen „Enterprise 1.0“ bzw. „2.0“ einrichten, haben wir in der zweiten ca. 1 Promille, in der ersten 999 Promille aller Unternehmungen und Projekte der Geschichte – ein bisschen stark vereinfacht, oder?
3. Die Überschrift lautet: „Enterprise 2.0 – Es geht um die Werte“. Im Artikel ist zwar von „Wertewandel“ und „neuer Wertehaltung“ die Rede, aber wo sind die Werte? Außer „Vertrauen“ habe ich in Ihrer Tabelle nicht viel davon gefunden. Transparenz z. B. ist für mich zunächst kein Wert (ohnehin wäre zunächst zu klären, ob durch Facebook, Twitter etc. grundsätzlich mehr Transparenz erzeugt wird) – erst dann, wenn neue Technologien zu mehr Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit führen, haben wir einen echten Wertewandel. Das aber bleibt offensichtlich weiterhin ein schwieriges Geschäft, in den Betrieben wie auch in der Politik – es ist wie mit Freundschaft und Wertschätzung, die sich nicht mit der Anzahl von Klicks und Likes bemessen lassen. (Zum Thema Gerechtigkeit gibt es übrigens in dem von Ihnen angeführten Artikel „Wie wir morgen arbeiten“ in der Süddeutschen einige interessante Passagen.)
Herzliche Grüße aus dem sommerlich-analogen Ahrtal!
Danke, Gebhard, für Deinen Impuls. Ich bin der Meinung, dass die Abgrenzung zwischen analog und digital uns nicht weiterhilft, sondern die Aufmerksamkeit in die falsche Richtung lenkt. Die entscheidenden Spannungsfelder sind für mich Selbstorganisation und Eigenverantwortung vs. Hierarchie und Fremdsteuerung sowie Generierung vielfältiger, strategischer Handlungsoptionen vs. blindem Effizienzstreben. Ob das nun besser analog oder digital geht ist nebensächlich.
@ M. Raitner und G. Borck
Von der starren Unterscheidung analog/digital wegzukommen, finde ich sehr gut und hilfreich. Als ich eben noch mal meinen eigenen Beitrag hierzu abgeklopft habe, ertappte ich mich bei einigen oberlehrerhaften Formulierungen. Vielleicht ist es schlicht so, dass es hier nur um zwei Sichten auf dieselbe Welt geht ( wie beim Thema Welle/Materie in der Physik). Jedenfalls geht es bei digital und analog offensichtlich nicht um die Frage gut/schlecht.
Andererseits bin ich Stefan Hagen gerade deshalb für seinen Artikel dankbar, weil er schon im Titel klarmacht: Es geht um die Werte. Insofern stellt sich schon die Frage: Was ist schlecht an 1.0, was soll besser werden mit 2.0? Der Wandel der Wertvorstellungen auf dem Weg zu 2.0 wird ja z. B. betont durch Formulierungen wie „vs. blindem Effizienzstreben“ oder „Es geht nach wie vor um leben und sein, in dieser unserer Zeit.“.
Aber ich denke, das ist zu wenig als Orientierungshilfe für die Leute, die sich auf den Weg Richtung 2.0 machen sollen. Ganz konkret wäre eine Ergänzung der Hagen-Tabelle in Richtung alte / neue Wertvorstellung zu überlegen; eine der zusätzlichen Zeilen wäre beispielsweise Fremdsteuerung/Eigenverantwortung.
Hallo Herr Scheurer,
danke für Ihr Kommentar – so habe ich den Artikel noch einmal gelesen und auch die anderen Anmerkungen und mir ist etwas aufgefallen, das ich jetzt ketzerisch in den Raum stelle:
Die Überschrift lautet: Enterprise 2.0 – es geht um die Werte.
Klingt erst einmal plausibel, verstehe ich allerdings immer weniger.
Ich bin ein Mensch, der sowohl digital wie auch analog unterwegs ist. Ich schätze es, in beiden Welten Kompetenzen aufzubauen und hinterfrage Methoden, Technologien, Werkzeuge und Trends aus beiden Welten kritisch, um das für mich richtige analog-digitale Leben zu führen.
Meine Werte gelten für beide Welten. Sie gelten sowohl analog wie digital, sowohl für Enterprise 1.0 wie für 2.0. Sie bleiben KONSTANT.
Damit schließe ich jetzt: Es geht nicht um die Werte! Stattdessen geht es um die mit dem jeweiligen Begriff in Verbindung gebrachte Kultur und den Einfluss dieser Kulturausprägungen auf unsere persönlichen Werte.
Andere Menschen zu achten und zu respektieren war für mich wichtig, bevor die Welt digital wurde.
Transparenz war für mich wichtig, bevor die Welt digital wurde.
Eigenverantwortung war für mich wichtig, bevor die Welt digital wurde.
Kooperation und Vertrauen war für mich wichtig, bevor die Welt digital wurde.
…
All diese Werte sind nicht mit der Digitalisierung entstanden. Was durch die Transparenz eines Internets, die Möglichkeit zur weltweiten, simplen Kommunikationsvernetzung – wie sie durch Emails und Newsfeeds anfänglich erreicht wurde -, die multimediale Wege der Selbstdarstellung vielmehr passiert, ist das all diese Werte neu zu diskutieren und neu zu fassen sind.
Es werden seit jeher bestehende Restriktionen durch die Digitalisierung nieder gerissen. Entfernungen (Australien ist heute nur ein Tweet entfernt), Zugang zu Massen-Publikationstechnologien (nicht nur die Bildzeitung erreicht millionen Leser – auch Facebook tut es), Zeitverschiebungen (meine Blogposts werden auch in Moskau um 8:00 Uhr Ortszeit zum Frühstück gelesen), Preisfindung (der Großhändler wird zunehmend vom Internet-Direkthandel unter Druck gesetzt), Wissensoligopole (Meine Kfz-Werkstatt wird im Internet beurteilt und ich weiß genau, ob nur ich gut/ schlecht bedient werde oder andere auch), bisherige soziale Außenseiter werden Teil einer Community (hier mal Negativbeispiele wie etwa Kannibalen oder Pädophile) usw.
Diese Zerstörung von Grenzen stellt unsere Position zu unseren Werten und deren Interpretation in Frage – man lese dazu auch die Blogposts von Conny und Marcus mit den Themen Urheberrecht und Wurzel des (Projekt) Managements.
Diese Zerstörung ist allerdings zuerst einmal eine Zerstörung, die unsere Beziehungskultur verändert. Unsere Werte brauchen sich deshalb noch lange nicht zu ändern. Wie wir sie auf die neue Kultur beziehen, das ist die Frage?
Vor kurzem saß ich zum Mittagstisch in einem Restaurant in der Stadt und habe der Unterhaltung von zwei Jugendlichen zugehört, die mit uns am Tisch saßen. Ihr Gespräch war „typisch“ pubertierend. Es ging um wer mit wem, ob der jeweilige Partner des Freundes oder der Freundin über oder unter deren Niveau war. Was von welchem Musikgeschmack zu halten ist. Wie die Klamotten, die man anzieht zu diesem Musikgeschmack passen usw.
Spannend war, dass weit über 50% der Informationen, die ausgetauscht wurden aus Facebook kam und wiederum weit mehr als die Hälfte nicht von der thematisierten Person und stattdessen von dritten, die die thematisierte Person kommentierten.
Ich will nicht sagen, dass ich nicht mit Gesprächspartnern über Dritte spreche. Allerdings braucht man in der analogen Welt einige Zeit, um sich die Meinung von allein 8 Menschen über einen Dritten einzuholen. In Facebook haben diese Digital Natives in 10 Minuten 50 Aussagen von 30 Facebook-Kontakten. Die Kultur hat sich verändert!
Müssen sich damit auch die Werte ändern?
Gruß
Gebhard
Hallo Gebhard,
Du triffst den Nagel absolut auf den Punkt. Danke.
Beste Grüße,
Conny
Danke, Gebhard! Analog vs. digital berührt die Werte nicht, jedenfalls meine nicht, und sollte es auch nicht. Ein kleines Gedankenexperiment: Nehmen wir die Transparenz und stellen uns ein Unternehmen vor, das in der analogen Welt in der Transparenz keinen großen Wert sah. Nun ist alles digital und man fühlt sich in diesem Unternehmen dazu gedrängt, mehr Transparenz zu zeigen und führt beispielsweise ein Microblogging oder ein Wiki ein. Wenn das nicht mit einem grundlegenden Wertewandel zu mehr Transparenz begleitet wird, wird das eine Totgeburt. Denn wollte man mehr Transparenz, hätte man die in der analogen Welt schon lange herstellen können. Ich werde daher immer skeptisch wenn ein Werkzeug oder eine Technologie einen solchen Wandel unausgesprochen und implizit herstellen soll. A fool with a tool is still a fool.
Hallo Herr Raitner,
aus meiner Sicht kann ich nicht ausschließen, dass ein Übergang/ Grenzgang von analog zu digital die Werte nicht berührt. Sie beschreiben diese Änderung ja auch sehr schön in Ihrem Beispiel. Ich kann aus Ihrem Beispiel sogar herauslesen, dass die Werte sich ändern müssen. Dem stimme ich auch zu. Oder interpretiere ich das aus Ihren Ausführungen falsch?
Beste Grüße,
Conny Dethloff
Hallo Herr Dethloff,
selbstverständlich ändern sich Werte. Immer schon. Aber sie ändern sich eben meiner Meinung nach nicht am Übergang von analog zu digital. Sie ändern sich und müssen sich ändern, weil sich das Wesen der Arbeit ändert (mehr Wissensarbeit).
Beste Grüße,
Marcus Raitner
Ich habe jetzt nicht die Kommentare gelesen, vielleicht doppelt sich folglich was. Was mir aufgefallen ist, wenn man schon eine analoge und eine digitale Welt gegenüberstellen will, ist es vielleicht recht wichtig, dass auch in der analogen Welt sich Wertschöpfung nicht nur in Produkten und Dienstleistungen erschöpft. Ich denke da an das, was z.B. Kultur und Soziale Arbeit leisten. Ich denke, wenn man das mitdenkt und erkennt, kommt man schneller auch in die Richtung, wo es mit Enterprise 2.0 hingehen soll. Die neuen Techniken sind Werkzeuge und bilden nicht allein eine eigene Welt. Der Mensch ist nach wie vor wesentlich. Und auch in der analogen Welt gibt es Virtualität, um diesen Begriff mal mit hinein zu bringen. Die Voraussetzungen, die neue Haltung, die sich in Beschreibung wie „Menschen = Sinn und Zweck“ , „Pull statt Push“ und „Wissen teilen statt Wissen besitzen“ niederschlagen, können wir eben auch in einer analogen Welt gut gebrauchen. Und schlussendlich denke ich, dass eine Unterscheidung in analoge und digitale Welt der Sache nicht gerecht wird. Es ist eher eine kulturelle Ebene auf der sich entscheidet – auch in Unternehmen – auf der sich entscheidet, ob wir näher an 1.0 oder 2.0 sind.
@Steffen: Vielen Dank für diesen Input! Du hast natürlich vollkommen recht, auch in der analogen Welt gibt es Virtualität.
Auch in meinem heutigen Blogpost zu dem Thema kommt der Begriff „Kultur“ vor, allerdings in einem organisatorischen und nicht in einem gesellschaftlichen Sinne.
Ich freue mich auf weitere Diskussionen!