Analoge und digitale Welt.

Mir war bewusst, dass ich mit dem kürzlich veröffentlichten Blogpost „Enterprise 2.0 – Es geht um die Werte.“ ein ziemlich großes Fass aufmache. Trotzdem – oder gerade deswegen – habe ich es gemacht, denn ich halte das Thema für praktisch alle Unternehmen und Organisationen für sehr relevant.

Vorab möchte ich mich für all die tollen, anregenden und bereichernden Kommentare und Gedanken von Peter Addor, Markus Pfefferle, Gebhard Borck, Conny Dethloff, Marcus Raitner und Bernhard M. Scheurer bedanken! Ich werde meine Sichtweise zu den verschiedenen Aspekten in einigen Blogbeiträgen schrittweise konkretisieren. Heute möchte ich mit der Metapher „analoge und digitale Welt“ beginnen.

Digitale Parallelwelt durch informationelle Vernetzung

Peter Addor wirft in seinem Kommentar eine Reihe von Fragen auf, was meine Metapher mit der analogen und der digitalen Welt angeht. Diese möchte ich wie folgt aufgreifen:

  • Ich hatte im ursprünglichen Artikel geschrieben: „Für mich fühlt es sich so an…„. Diese Formulierung habe ich deshalb gewählt, weil die Metapher mit der analogen und der digitalen Welt nicht wissenschaftlich nachprüfbar ist. Die treffendere Formulierung wäre wahrscheinlich gewesen: „Mein Bild ist es…„. Denn es gibt durchaus überprüfbare Indikatoren für das Vorhandensein einer digitalen Parallelwelt. Aber es handelt sich – bei mir – derzeit lediglich um ein starkes inneres Bild, das sich durch ein Leben in beiden Welten in den letzten 10 Jahren entwickelt hat.
  • Die analoge Welt ist nicht „realer“ oder „weniger real“ als die digitale Welt. Aber die digitale Welt kann immer nur ein Spiegelbild der analogen Welt sein. Denn wirkliches Leben spielt sich (derzeit noch) ausschließlich in der analogen Welt ab. Trotzdem sind Kommunikation, Zusammenarbeit, Austausch etc. in beiden Welten real vorhanden (mit der Einschränkung, dass wir ohnehin nie von einer „objektiven Realität“ ausgehen können).
  • Die digitale Welt fungiert häufig als Verstärker oder Katalysator für die analoge Welt. Das, was analog vorhanden ist, kann in der digitalen Welt verstärkt werden – im positiven wie auch im negativen Sinne.
  • Natürlich wird die analoge Welt immer bestehen. Mit der digitalen Welt kommt lediglich eine neue Dimension dazu. Ja, Peter Addor, ein Enterprise 2.0 hat meines Erachtens die analoge und die digitale Welt in ihre Realität / in ihr soziales System integriert.
  • Ein zentrales Erfolgsprinzip (in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft…) wird es zukünftig sein, das Zusammenspiel zu verstehen und die wirkungsvolle Verschränkung der analogen und digitalen Welt gestalten zu können.
  • Ja, Markus Pfefferle, selbstverständlich geht es immer (in der analogen und der digitalen Welt) um Kommunikation. Und ja, durch die informationelle Vernetzung wird zeitverzögerte Kommunikation ermöglicht.
  • Denken und Handeln sollte sich sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt an „guten, menschlichen und aufgeklärten Werten“ orientieren.
  • Eigentlich ist die Bezeichnung „Parallelwelten“ nicht wirklich korrekt. Vielmehr überlagern sich die beiden Welten zunehmend, die verschmelzen sogar miteinander. Und sie beeinflussen sich gegenseitig: Denn die Entwicklungen und Innovationen in der Digitalen Welt beschleunigen wesentlich den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Wandel in der analogen Welt.

Auswirkungen und Nutzen

Es gibt verschiedene Bezeichnungen und Auffassungen, was die Relevanz der angesprochenen Entwicklungen angeht. Prof. Dr. Dirk Baecker spricht vom anbrechenden „vernetzten Zeitalter„, Prof. Dr. Claus Eurich sieht das „integrative Zeitalter„, Paul Conneally nennt es „digital humanisation„, und auch der ehemalige britische Premierminister nennt es die Chance auf eine „globale Ethik„, die durch die Digitalisierung ermöglicht wird.

Aus meiner Sicht liegt die wahre Chance in der integrativen Betrachtung und Nutzung der neuen digitalen Möglichkeiten. Ich wünsche mir, dass sich Wissenschafter und Praktiker verschiedener aller Denk- und Wissensdisziplinen (Soziologie, Systemtheorie, Philosophie, Theologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften, Kommunikationslehre…) mit den Auswirkungen der entstehenden digitalen Welt beschäftigen. Dies sollten sie aber nicht getrennt voneinander, sondern vielmehr miteinander tun.

Die Vision dieser Auseinandersetzung und Entwicklung sollte keine geringere als diese sein: Eine bessere Welt für alle Menschen.

***

Nachtrag vom 8.8.2012: Gerade lese ich auf Google+ dieses Zitat:

I see software as the testing ground for the future, a place where we can put on our training wheels and get our ethics right and develop cultural and social norms for how technology should relate to humans.” – Jonathan Harris

Passt doch irgendwie, nicht?

(Danke an +Jens Hoffmann)

Ein Gedanke zu „Analoge und digitale Welt.“

  1. Hallo,

    ich finde beide Kommentare sehr gut und darf mich auch dazu äußern.

    Unabhängig davon, dass die Worte insgesamt alle richtig sind, finde ich den Zugang etwas zu philosophisch. Verzeiht mir bitte aber ich denke, dass die Masse der Menschen damit einfach nichts anfangen kann.

    Man spricht von „integrativem Zeitalter“ … viel Spaß beim Erklären dieser Wortkreation ;-).
    Ich bin allerdings ganz bei Stefan, dass es ein ausgewogenes Zusammenspiel der „früheren“ Werte (z.B. Misstrauen UND Vertrauen, Pull UND Push) geben muss. Es nützt mir nichts, wenn ich meinen Leuten bspw. blind vertraue, nur weil manche Idealisten das für die Zukunft der Zusammenarbeit halten und dann am Ende ohne Ergebnis dastehe. Deshalb Vertrauen JA ABSOLUT aber mit Kontrolle.

    Persönlich habe ich viele Konfliktsituationen erlebt, weil mir die von Stefan erwähnte Transparenz sehr wichtig ist. Das sehen aber (Linien)Führungskräfte diametral anders. Wissen ist Macht und die gibt man nur sehr ungern auf. 😉

    Auf jeden Fall müssen die (wissenschaftlichen) Disziplinen zusammenwachsen. Mir gefällt der systemische Ansatz von Malik u. Co sehr gut. Die reine Orientierung am Profit ist bswp. ein weiterer Widerspruch (analog wie digital) zu allen hier skizzierten Werten. Vor allem der ZWECK wird m.E. immer wichtiger werden.
    Wir leben ja in einer Zeit, in der immer mehr Leute auf Karriere verzichten, um dafür ihren Garten zu kultivieren (mal ganz plakativ). Gleichzeitig sinkt auch die Wahlbeteiligung in allen westl. Demokratien. Die Abgabe und auch die Verweigerung von echter Verantwortung ist IMHO auch ein ein (Werte)Problem, dass viel zu selten thematisiert wird. Sieht man übrigens auch gut an der in Österr. praktisch nicht vorhandenen politischen Rücktrittskultur. Natürlich gibt es Ausnahmen.

    Um wieder auf das PM zu kommen: Wir haben als Projektleiter die Chance, diese
    „neuen“ (sind sie das wirklich?) Werte zu etablieren, den Leuten zu zeigen, dass sie davor keine Angst haben müssen und vor allem die Vorteile ganz klar zu benennen, um sie zu nutzen.
    Das Thema Komplixitätsmeisterung sehe ich in diesem Zusammenhang auch als Talent an. Schule und Uni können hier nur bedingt unterstützen. Gerade die Fähigkeit zu abstrahieren und Vorgänge ganzheitlich zu betrachen empfinde ich aber als Schlüsselqualifikation.
    Erst damit lassen sich neue Werte/Herausforderungen in einem ganzheitlichen/vernetzten und allgemein verständlichen Kontext setzen. Tools, wie etwa Mindmaps, Abhängigkeitsdiagramme o.ä., können da sicher helfen aber letztlich wird sich der insgesamt notwendige Kommunikationsaufwand trotzdem immens erhöhen, um all diese Informationen überhaupt sinnvoll verarbeiten/verwenden zu können. Die Tools mögen die Variabilität senken/dämpfen, doch dazu muss man sich dieser Variablität erst einmal bewusst sein und daran scheitert es wohl oft auch noch.

    lg
    günter

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