Ein Projekt ist per Definition eine temporäre Arbeits- und Organisationsform, bei der ein (meist fachübergreifendes) Team versucht, eine neuartige und komplexe Problemstellung zu lösen. Leider ist die Realität aber nicht so trivial. Denn die Vielfalt an möglichen Projektaufgaben und Anwendungsbereichen ist schier unendlich. Dies ist auch einer der Gründe, warum wir uns endlich davon verabschieden sollten, dass es „DAS gute und richtige Projektmanagement“ gibt.
Ich möchte einleitend einige Gedanken skizzieren, die mich immer wieder beschäftigen:
- Wir tun so, als ob es eine einheitliche Definition von „Projekt“ oder „Projektmanagement“ gäbe. Dies zu glauben, ist absurd.
- Entsprechend kann es auch keine Patentrezepte geben, wie Projekte zum Erfolg geführt werden können.
- Mehr noch: Auch die Frage nach dem Projekterfolg muss sehr differenziert betrachtet werden (vgl. hierzu u.a. diesen Beitrag auf openPM). Es gibt Projekte, bei denen am Beginn gar nicht messbar definiert werden kann, was den Erfolg des Vorhabens am Ende ausmacht. Vielmehr muss während des Projekts „gelernt werden„, wie eine erfolgreiche Lösung gestaltet sein kann (oder eben auch nicht).
- ZWISCHENFAZIT: Im differenzierten Verständnis von „Projekt“ und „Projektmanagement“ liegt ein Schlüssel zu dem, was wir als „Erfolg“ und „Nutzen“ anstreben.
Projektbegriff differenzieren
Ursprung eines Projekts ist immer ein Problem. Den Problembegriff habe ich hier etwas näher erläutert. Im Verständnis des zu Grunde liegenden Problems liegt einer der ersten Knackpunkte in Projekten.
Wie können sich diese Probleme nun darstellen?
- von relativ kompliziert bis hochkomplex
- von relativ häufig bis vollkommen neu und einzigartig
- von analog (Produkt, Gebäude…) bis digital (Software…)
- von lokal bis international
- von relativ klein bis riesengroß
- etc. pp.
Daraus resultiert eine breite Palette an unterschiedlichen Vorhaben, die alle den Titel „Projekt“ tragen. Wir sind uns aber hoffentlich einige, dass das Projekt „Einfamilienhaus“ sich vom Projekt „Berliner Flughafen“ unterscheidet und das Projekt „Implementierung von SAP im Unternehmen XY“ vom Projekt „Entwicklung von Google+“.
Für besonders wichtig erachte ich folgende Unterscheidung:
- Routineprojekte bzw. Projekte mit Routinecharakter, die ein relativ klar spezifizierbares Produkt als Ergebnis haben (z.B. Bauprojekte, Anlagenbauprojekte, Weiterentwicklungen bestehender Produkte etc.)
- Forschungs- und Innovationsprojekte bzw. Projekte mit hohem Neuartigkeits- und Unsicherheitsgrade, deren Ergebnis kaum umfassend spezifiziert und geplant werden kann
Natürlich ist die Differenzierung an dieser Stelle sehr verkürzt dargestellt, aber für die Frage nach dem „richtigen Projektmanagement“ ist diese Unterscheidung meines Erachtens essenziell.
Projektmanagement-Begriff differenzieren
An anderer Stelle habe ich schon einmal ausgeführt, wie ich den PM-Begriff abgrenzen würde. Für mich ist Projektmanagement
- eine Arbeits– und (PM als Methode)
- Organisationsform zur (PM als Organisationsansatz)
- erfolgreichen Führung und Steuerung eines Projektes (PM als Führungsansatz, operatives PM) bzw.
- aller Projekte in einer Organisation (PM als Managementsystem, strategisches PM).
Hier eine Skizze, wie wir (klassisches) Projektmanagement gegenüber anderen Arbeits- und Organisationsformen abgrenzen könnten:
Einige Anmerkungen dazu:
- Es ist eine Illusion, dass zukünftig „alles flexibel, agile etc.“ sein wird. Nach wie vor gibt es stabile Rahmenbedingungen und Aufgabenstellungen, die in entsprechend stabilen Strukturen und Prozessen bearbeitet werden können – sogar müssen. Der Anteil an Stabilität nimmt aber weiter ab.
- Konzepte wie „agiles Prozessmanagement“ und sogar „agiles Projektmanagement“ sind Paradoxien in sich und machen wahrscheinlich gar keinen Sinn. Wenn wir den Ursprung, die Prinzipien und den tieferen Sinn dieser Organisationskonzepte verstanden haben, müssen wir wahrscheinlich feststellen, dass eine Abgrenzung notwendig ist.
- Gleichzeitig wird die Realität niemals eindeutig und klar sein. Entsprechend sollten wir die verschiedenen Organisationsformen integrativ verstehen und betrachten – allerdings auf der Grundlage eines jeweils klaren Verständnisses der einzelnen Arbeits- und Organisationsformen. Ansonsten verwässern wir die Ansätze, und plötzlich ist „alles relativ“. Diese Tendenz ist meines Erachtens seit einigen Jahren erkennbar.
Fazit
In vielen Bereichen sind wir wesentlich zu unscharf in der Wahl der Sprache, was zur Verwässerung des Denkens und schlussendlich auch des Handelns führt. Erst, wenn wir
- verschiedenartige Projektaufgaben auch differenzieren und
- daraus die richtige Organisationsform und den richtigen Managementansatz ableiten,
wird dies zu einer Verbesserung der Resultate führen. Derzeit führen wir an vielen Punkten Schattenkämpfe mit Argumenten, die eigentlich gar keine sind. Wir sollten zurück zum Start, zum Ursprung.
Lieber Stefan,
ein Problem als Ausgangspunkt zu nehmen, finde ich total gut. Was mir gut geholfen hat, um Projekte einzuschätzen, ist das Modell von Shenhar und Dvir (reinventing project management, http://hbsp.harvard.edu/). Shenhar und Dvir definieren vier Arten von Unsicherheit und treffen aus meiner Sicht ziemlich gut die Gestalt von Projekten. Das eignet sich für ziemlich viele Projekte.
LG, Jan
Hi Jan,
danke für den Input. Die betreffenden Artikel sind kostenpflichtig, richtig?
LG, Stefan
Hallo Stefan, vielen Dank für diesen Beitrag, er ordnet vieles was in den Disksussionen der letzten Wochen angefallen ist. Der Schlusssatz aus der PM Camp Session „Wir forschen nach Lösungen, die Nutzen stiften.“ wird vielleicht noch wichtiger als ich gedacht hatte, LG Eberhard
P.S. mit dem Abschnitt sprichst Du mir aus tiefster Seele:
Es ist eine Illusion, dass zukünftig “alles flexibel, agile etc.” sein wird. Nach wie vor gibt es stabile Rahmenbedingungen und Aufgabenstellungen, die in entsprechend stabilen Strukturen und Prozessen bearbeitet werden müssen und können. Der Anteil an Stabilität nimmt aber weiter ab.
Hallo Eberhard,
ich denke mir, dass es in Projekten immer um „Neues“ geht – sonst ist der Projektbegriff falsch angewendet. Ob wir in allen Projekten danach „forschen“, wage ich zu bezweifeln.
Wie im Artikel skizziert bin ich der Ansicht, dass wir grob in
differenzieren sollten (wie dies offensichtlich beim PM Camp Stuttgart auch besprochen wurde).
Ebenso bin ich der Ansicht, dass sich der forschende Teil von Projekten auch auf einzelne Phasen beschränken kann (vgl. mein Beitrag zum Thema „Art of Hosting“).
Viele Grüße!
Hallo Stefan, ich möchte den Satz bestimmt nicht überbewerten, es ist definitv nicht alles Forschung. Nach dem Problem, kommt die Lösungsidee. Je nach dem wie klar die Lösungsidee ist muss geforscht oder mehr auf teilweise bekannten Pfaden gewandelt werden … LG Eberhard
Agree 😉
@Eberhard Dein letzter Kommentar nehme ich auch als Definition für „pragmatisches Vorgehen“. Wobei ich nicht weiß, was „Pragmatismus“ so genau ist 🙂
@Stefan:
Deine schöne Zusammenfassung in diesem Artikel wirkt auf mich wie ein „revolutionärer Meilenstein“. Ich empfinde ihn sehr aufgeklärt, weil er mit Glaubenssätzen (Dogmen) aufräumt.
Ich zitiere Dich. „Wir tun so, als ob es eine einheitliche Definition von “Projekt” oder “Projektmanagement” gäbe. Dies zu glauben, ist absurd“. Nicht nur mit diesem Satz triffst Du das Problem auf den Punkt.
Nur:
Dogmen helfen vielen Menschen. Sie nehmen Unsicherheit. Und entlasten, wenn es schief geht. Man hat ja „alles richtig“ gemacht. So wie man es gelernt hat und ja auch entsprechend zertifiziert wurde.
Die nach meinem Verständnis von Dir geforderte Autonomie und Eigenverantwortlichkeit im Projekt Management ist alles andere als einfach zu erzielen. So ist für mich die größte Herausforderung für uns Menschen, willens und fähig zu sein (zu werden), unser Leben eigenverantwortlich zu führen. Und dies sittlich verantwortet nach Werten, die den Menschen gemein sind (Goldene Regel, UNO-Charta).
Und wie fürs Leben allgemein gilt das auch für unsere „Sub-Leben“ in Rollen wie Projekt Manager, Führungskraft, Unternehmer, Partner, Familienvater, Funktionär, Politiker, also generell im Rahmen des sozialen Zusammenleben in Gemeinschaften („communities“).
Lieben Dank, Stefan. Ich nehme den Beitrag gleich nach Berlin mit und übergebe ihn feierlich den Studenten. Es ist in der Kürze das, worauf es mir im Projektmanagement ankommt.
Und was die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit betrifft – es ist mein Arbeitsfeld aus dem Projektmanagement heraus geworden. Als Coach biete ich genau darin die Unterstützung und es geht tatsächlich um den ganzen Menschen und all seine Rollen. Und: Die Überlegungen aus dem agilen Projektmanagement, alles was da an Gedanken, Ideen und Wissen einfließt, eingeflossen ist und noch dazu kommen wird, ist in der Führung seines eigenen inneren Teams spannend. Die Selbstführung bereicht die Projekte und die Projektarbeit berreicht die Selbstführung.
Hallo,
leider stoße ich erst heute auf diesen interessanten Artikel.
Ganz besonders unterstreichen möchte ich diesen Satz:
Mir fallen hierzu zwei Ausprägungen ein:
1. Meiner Erfahrung nach sind verschiedene Menschen verschieden scharf in der Wahl ihrer Sprache. Ich glaube, es ist nur in engem Rahmen möglich, daran etwas zu ändern. Es liegt einfach in der Natur des jeweiligen Menschen. Meine diesbezüglichen Versuche kommen mir oft vor wie der Kampf gegen Windmühlen. Nachhaltige Verbesserung der „Schärfe“ sind bei entsprechenden Kandidaten kaum erreichbar.
Müssen wir also – zumindest zu einem bestimmten Grad – damit leben? Wie können wir der Verwässerung des Handelns dennoch entgegenwirken?
2. Manche Begriffe werden zeitweise inflationär und/oder falsch verwendet. Das kann sehr viele Ursachen haben, zum Beispiel bewusste Kommerzialiserung oder schlicht Unwissenheit. Der Begriff „agil“ ist hier wohl ein Paradebeispiel. Gegen diesen Effekt kann man augenscheinlich etwas unternehmen. Ohne hier weiter darüber nachzudenken scheint mir die Verbreitung von korrekter, hilfreicher Information zum jeweiligen Thema schon zweckdienlich.
Wirklich unangenehm wird es natürlich, wenn beide Ausprägungen zusammenfallen …