7 Thesen zur Zukunft des Projektmanagements

In den letzten Monaten habe ich immer wieder interessante Beiträge zur aktuellen und zukünftigen Entwicklung im Projektmanagement wahrgenommen. Die einen sehen einen unaufhaltsamen Trend hin zu agilem Management und damit verbunden den Niedergang des „klassischen“ Projektmanagements. Die anderen drücken auf die Bremse und halten agile Methoden nur für eine Modeerscheinung. Wer hat recht?

Vorab: Ich bin kein Hellseher und auch kein Zukunftsforscher. Aber ich bilde mir ein, in den letzten Jahren ein recht gutes Sensorium entwickelt zu haben, welche Themen die „PM Community“ in der analogen und der virtuellen Welt beschäftigen.

Gleichzeitig habe ich in der jüngeren Vergangenheit vermehrt versucht, PM-Diskussionen auf ihren Hintergrund hin zu durchleuchten. Dieser Prozess wurde am stärksten durch persönliche Gespräche und Auseinandersetzungen mit geschätzten PM Kollegen und Kolleginnen geprägt.

Daraus habe ich recht spontan und intuitiv 7 Thesen abgeleitet, wohin sich die Arbeits- und Organisationsform „Projektmanagement“ in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Ich freue mich über eine kritisch-kontroverse Diskussion.

These 1: Klassisches Projektmanagement wird es immer geben

Ich glaube nicht daran, dass die klassische Herangehensweise an Projekte in Zukunft obsolet werden wird. Im Gegenteil: Ich glaube sogar an die Renaissance eines guten und richtigen Projektmanagements – in den auf Stabilität ausgelegten Bereichen der Projektwirtschaft (Bau, Anlagenbau, …).

These 2: Die Bedeutung agiler Prinzipien und Methoden wird (natürlich) weiter ansteigen.

Die Geschwindigkeit, mit der sich das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld von Organisationen verändert, hat in den vergangenen 2 Jahrzehnten enorm zugenommen. Wir befinden uns mitten im Übergang von der modernen zur vernetzten Gesellschaft (vgl. z.B. Soziologe Prof. Baecker). Agilen, auf Selbstorganisation ausgelegte Arbeits- und Organisationsformen gehört die Zukunft.

These 3: Die Basis für erfolgreiche Projekte wird im Umfeld der Projekte gelegt.

In einer komplexen Welt müssen wir die Wirkungsweisen und Muster in sozialen Systemen verstehen, um in fachübergreifenden Teams gute Ergebnisse erzielen zu können. Systemisch betrachtet liegt die Ursache für Erfolg aber nicht nur im System (= Projekt) selbst, sondern häufig auf einer höheren Systemebene (= Umfeld des Projekts; Unternehmensorganisation). Die Rahmenbedingungen, die in der stabilen „Stammorganisation“ für Projekte geschaffen werden, ist einer der wichtigsten „Hebel“ für das Gelingen komplexer Projektvorhaben.

These 4: Vom Projektmanagement zur ProjektFÜHRUNG

Management ist wirken im System (planen, koordinieren, steuern, anweisen…). Führung ist wirken am System (Orientierung geben, Sinnbezug herstellen, Lernprozesse anregen und gestalten, Wahrnehmung fokussieren…). Gunter Dueck sagt in seinem Buch „Professionelle Intelligenz“ dazu: Management = Commodity, Führung = Premium. Das bedeutet: Die Fähigkeit des guten und richtigen (Projekt)Managements müssen wir in Zukunft voraussetzen. Wirklich entscheidende wird – darauf aufbauend – die Fähigkeit der (Projekt)Führung in komplexen Umfeldern sein.

These 5: Das Team ist der Star

Noch viel mehr als bisher müssen wir uns ins Bewusstsein rufen, dass in Projekten „das Team der Star“ ist. Reinhard Sprenger sagt dazu: „Zusammenarbeit zu organisieren ist die Führungsaufgabe # 1“. Wer partout nicht kooperiert, fliegt raus. Punkt.

These 6: Individuelles Lernen – Teamlernen – Organisationslernen

Professionalität und Exzellenz im Projektmanagement beginnt und endet natürlich immer bei den beteiligten Menschen. Es gilt, die Kompetenzen und Fähigkeiten der Beteiligten gezielt zu fördern und vor allem auch, Vielfalt zuzulassen. Gleichzeitig müssen wir aber auch als Teams und ganze Organisationen lernen. Die Schlüsselfrage lautet hier: Wie kann Zusammenarbeit in einer komplexen Welt gelingen? Peter Senge hat mit seinem Konzept der „Learning Organization“ (Die 5. Disziplin) bereits in den 1990er Jahren aufgezeigt, wie dieser Weg aussehen kann. Professionalität im Projektmanagement hat unmittelbar mit dem Anspruch und Ziel der Lernenden Organisation zu tun.

These 7: Was ist eigentlich das Problem?

Hier und hier habe ich bereits dargelegt, warum ich eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem zu Grunde liegenden Problem für essenziell halte. Denn die Wahl der richtigen Organisations- und Arbeitsform (Linie, Prozessorganisation, Projektorganisation, Agile Organisationsformen) sollte  aus dem zu lösenden Problem / der Aufgabe ableiten. Deshalb sehe ich mittlerweile auch agile Prinzipien und Organisationsformen nicht mehr als Teilmenge des Projektmanagements, sondern als eigenständige Disziplin (siehe hier).

Ich freue mich auf eine spannende Diskussion!

Nachtrag

Zur 1. und 2. These habe ich noch folgende Analyse in Google Trends gemacht:

Google Trends - Websuche-Interesse  projektmanagement, agil, prozessmanagement, qualitätsmanagement - Weltweit, 2004 - heute

5 Gedanken zu „7 Thesen zur Zukunft des Projektmanagements“

    1. Deinen 7 Thesen stimme ich zu, lieber Stefan. Ich würde allerdings eine These „0“ beifügen:
      Projektmanagement ist eine der erfolgreichen Variationen der Grundaufgabe „Problemlösung“
      Die Zukunft des PM liegt für mich nicht in der zunehmenden Spezialisierung der Profession (dahin führt die m.E. absurde „Agil vs. Standard“ Diskussion), sondern im Erkennen, das PM nur eine von mehreren Antworten auf die immerwährenden Organisationsfragen ist:
      – Wie befriedigen wir Kundenbedürfnisse so, dass unser Nutzen ebenfalls steigt?
      – Wie lösen wir die Herausforderung angesichts der knappen Ressourcen?
      – Wie muss unsere Organisation arbeiten, um angesichts des vom Kunden als vergleichbar eingestuften Angebotes anderer Organisationen am Markt erfolgreich zu bleiben?

      ..und dann liegt die Zukunft des PM nicht in der Erfindung neuer Vorgehensmodelle, Tools und Denkschulen, sondern in der Integration des schon vorhandenen know-hows in den Bereichen Führung, Innovationsmanagement, Umgang mit Unsicherheit, Komplexitätsmanagement , etc…

      ..an anderer Stelle hast Du darüber ja schon einiges im Zusammenhang mit Gary Harmel, Tom Peters, Peter Drucker oder anderen Projektkapitänen 🙂 http://www.hinz-wirkt.de/lotsenblog/artikel/57-kapitaene
      ausgeführt…

      1. Hi Olaf,

        sehe ich auch so. Wir sollten uns mit der Beantwortung der ganz Grundlegenden Fragen beschäftigen. Die ganzen „Management“-Disziplinen (PM, PzM, QM…) sind weitgehend ausgereizt. Back to the roots ist angesagt.

        CU, Stefan

  1. Ja, sehe ich ähnlich. Kleinere Ergänzungen:
    These 3: systemisch gibt es keine übergeordnete Umwelt, sondern nur Umwelt. Ein System lässt sich auch nicht durch command and control von außen steuern, nur irritieren. Andererseits muss es sich selbst organisieren, immer. Sonst ist es kein System. Ob es das agil oder zäh/schleppend wie die Justiz macht, ist systemisch egal. Schon Maturana, von dem Luhmann viel übernommen hat, hat bei biologischen Systemen gesehen, dass man zwar die Gene von außen bekommen kann, aber die Vitalfunktionen (und auch die Zellteilung) innerhalb der Zelle koordiniert werden müssen. Und am Menschen sieht man, dass eine Eizelle und ein Spermium reichen, um ein hochkomplexes System zu schaffen. Man kann ja auch Projekte mit mehreren Joint-Venture-Partnern machen. Man muss aufpassen, dass man nicht doch wieder an den externen Beobachter glaubt, der meint, neutral zu sein und nicht Teil des Systems (Intervention). Ein gutes Projekt braucht sicherlich die richtigen Rahmenbedingungen (Leute, Zeit, Geld, Qualität, Risiko, …), aber man sollte die Steuerungsmöglichkeiten von außen nicht überschätzen.

    These 6: Senge
    Second order learning sehe ich immer noch viel zu wenig. Auch nicht bei den Agilen und Scrums. Eher im Gegenteil. Da ist mehr learning by doing und trial and error 🙂

    These 7: Problemadequates Tayloring von Projekten
    Da sehe ich kein großes Problem drin 🙂 Sicherlich kann man keine Brücke über den Rhein agil bauen mit agiler Statik. Da wird man fest definierte Eckpunkte haben müssen. Ganz anders aber im kleinen Team für Wegwerfsoftware, die in drei Jahren amortisiert und weg ist. Als Projekt organisieren wird man beides müssen, weil man ja nicht dauerhaft bauen will.

    Die Thesen sind aber sicherlich gut, um immer wieder zu reflektieren, was der Stand der Kunst ist und wo Verbesserungen möglich sind. Ich bin nach wie vor begeistert von einem Lehrfilm des VDI aus den 1970er, wo 4-5 Ingenieure in einem noch nicht ausgebauten Airbus stehen und einer sagt:
    “ Dann definieren wir hier einen Punkt hin (und zeigt dabei in die Luft, wo nichts ist) und von dem aus entwickeln wir uns nach hier und da!“ Menschen können so was: aus dem Nichts was machen. 🙂

    1. Hallo Hr. Ksoll,

      sorry für die verspätete Antwort und vielen Dank für die wertvollen Inputs!

      Zu Ihren Punkten:

      • These 3: Es stimmt natürlich, dass man komplexe, soziale, Systeme nicht durch „command and control“ steuern kann. Das war auch überhaupt nicht gemeint. Mein Verständnis von Systemen beinhaltet aber auch eine Betrachtungsweise in verschiedenen Systemebenen. Aus diesem Verständnis heraus macht die Formulierung Sinn. Ich gebe aber zu, dass sie zu Missverständnissen führen kann.
      • Die gelebte Praxis ist das eine – die anzustrebende Praxis das andere. Ich glaube, dass der Weg zur Lernenden Organisation gerade in wissensintensiven Bereichen alternativlos ist. Learn or die.

      Ich denke generell, dass wir „Utopien“ brauchen, um eingefahrene Denk- und Verhaltensweisen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Die meisten Diskussionen rund um Organisations-, Führungs- und Managementthemen erlebe ich leider häufig viel zu einseitig und „rückwärtsgerichtet“. Wir sollten noch viel stärker über den berühmt-berüchtigten Tellerrand hinaus schauen. Gerade auch im Projektmanagement.

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