Bereits vor einiger Zeit – nämlich vor fast 2 Jahren – hat Jurgen Appelo den Blogpost „Complexity versus Lean versus Agile versus Me“ verfasst. Ich habe mir damals schon vorgenommen, das Thema auch im PM Blog aufzugreifen. Heute ist es nun soweit.
Ausgangsthese: Die meisten Experten- und Praktiker-Diskussionen im Zusammenhang mit dem vermeintlich „richtigen Vorgehen in Projekten“ sind reine Schattenkämpfe.
Lagerbildung im Projektmanagement
In meiner Wahrnehmung kam es in den vergangenen Jahren zu einer verstärkten „Lagerbildung“ im Projektmanagement. Vereinfacht gesagt sind die:
- Klassische Projektmanager: deduktive Planung, phasenorientiertes Vorgehen, Projektziele und Ergebnisse müssen klar definiert und vereinbart sein, Projektstrukturplan und Balkenpläne sind zentrale PM Methoden etc. pp.
- Lean Projektmanager: Verschwendung eliminieren, kontinuierliche Verbesserung, Erfahrungsgeleitete Entscheidungen, kürzere Durchlaufzeiten, Führung und Selbststeuerung (Quelle)
- Agile Projektmanager: Anwendung agiler Prinzipien, iteratives Vorgehen, kontinuierliche Kommunikation, proaktiver Umgang mit Änderungen, aktive Einbindung des Kunden etc. pp.
Eigentlich suchen wir doch alle Antworten auf eine Fragen, die in etwa so lauten könnte: „Wie können komplexe Projektvorhaben gelingen?“ Oder sogar noch etwas abstrakter: „Wie kommt das Neue in die Welt?“ (siehe hierzu auch openPM)
Schattenkämpfe, Egoismen, Lächerlichkeiten
Ich halte nichts von Lagerbildung – schon gar nicht, wenn sie in Schattenkämpfen, Egoismen und Lächerlichkeiten endet. Deshalb möchte ich folgende Gedanken zur Diskussion stellen:
- Wir beschäftigen uns im Projektmanagement (und anderswo) häufig mit den falschen Fragen.
- Die Frage nach der „richtigen Methode und Vorgehensweise“ kann nur für den jeweiligen Projektkontext beantwortet werden (vgl. „Projekt ≠ Projekt…„). Das „richtige Vorgehen“ gibt es nicht.
- Vielfach haben wir ein massives Kommunikationsproblem, da wir viel zu schnell bewerten, dem anderen gar nicht richtig zuhören oder wichtige Begriffe nicht klären. Der Austausch hat nicht das Ziel, miteinander und voneinander zu lernen, sondern vielmehr, die eigene „Expertenposition“ zu untermauern.
- Dort, wo wir aber sehr genau hinschauen sollten, sind Paradigmen, Prinzipien, Welt- und Menschenbilder oder Haltungen (vgl. „Mechanistisches vs. systemisches Denken und Handeln„).
- Es ist wichtig, die verschiedenen Ansätze (klassisch, lean, agile etc.) für sich weiter zu entwickeln. Gleichzeitig brauchen wir aber auch den übergreifenden Austausch von Wissen und Erfahrungen, um in Projekten wirklich professionell und erfolgreich agieren zu können.
- Ich gehe noch weiter: Wir müssen weit über die reinen „Projektmanagement-Ansätze“ hinaus gehen. Das wirklich relevante Wissen steckt in der Auseinandersetzung mit systemischen Ansätzen, der modernen Führungs- und Organisationslehre oder dem Integrierten Management.
Fazit
Um wirklich von- und miteinander lernen zu können, benötigen wir ein „Mindset“, das von
- Offenheit,
- gegenseitiger Wertschätzung aber auch
- einem selbstbewussten Vertreten der eigenen Standpunkte, Überzeugungen und Erfahrungen
geprägt ist.
Genau das habe ich bislang vor allem auf den PM Camps erlebt – demnächst wieder in Berlin!
Lieber Stefan,
wieder ein toller Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht. Kann alles unterschreiben, bis auf die Unterscheidung zwischen den PM-Modellen. Methodisch ist das sicher korrekt. Im echten Leben würde ich persönlich keine Unterscheidung vornehmen (btw: agil halte ich für eine Teilmenge von lean).
Für mich ist ein PM dann wirklich gut, wenn er diese drei (und vermutlich gibt es noch etliche Abstufungen) Paradigmen jeweils situativ einsetzen kann. Prinzipiell analog zu den ganzen verschiedenen sog. Führungsstilen. Was hilft es mir, wenn ich dogmatisch auf meiner iterativen Vorgehensweise beharre und mir gleichzeitig das Projekt links und rechts um die Ohren fliegt?! Umgekehrt hilft mir das schönste Phasenmodel nichts, wenn sich die P-Rahmenbedingungen verhalten wie das momentane Wetter.
Letztlich, und da sehe ich persönlich die große Herausforderung, müssen neben den Projektleitern vor allem die Teams selbst UND die Auftraggeber die notwendige Reife mitbringen, um überhaupt andere Methoden, als rein sequenzielle, einsetzen zu können. Bisher ist meine Erfahrung, dass die PAGs eher in „Panik“ verfallen, wenn man mit „Erfahrung“ als zentralem Steuerungsinstrument argumentiert. Verständlich, da nur schwer mess- bzw. fassbar. Trotzdem wird uns die Komplexität letztlich nichts anderes erlauben, als uns auf gemachte Erfahrungen, Teamwork und den gesunden Menschenverstand zu verlassen.
lg
Günter
Hallo Stefan,
allein das Denken in „richtig“ und „falsch“ verhindert sehr häufig den Erfolg von Projekten. Das gilt sowohl für die inhaltliche, konzeptionelle Diskussion über das Produkt, wie auch über die Vorgehensweise. Insofern kann ich nur unterstreichen, dass das Lagerdenken blockiert statt nützt.
Wir machen sehr gute Erfahrung damit, die methodischen Werkzeuge verschiedener „Denkschulen“ zu kombinieren. Dazu gehört es allerdings, erst einmal zu hören, zu beobachten und zu verstehen. Erst dann können wir einen Vorschlag machen, welche Tools aus unserer Sicht die beste Wirkung haben werden. Der braucht dann ein Mindestmaß an Akzeptanz, sonst hilft die beste Methodik nicht.
Danke für Deinen Beitrag!
Beste Grüße aus dem Nordschwarzwald
Holger
Projekte wirksam zu managen ist keine Frage auf welcher (Methoden) Seite Mensch steht, sondern ob das PM Vorgehen zum Kontext des Projektes passt. Alles andere ist methodische Planwirtschaft!
So mancher Projektleiter hat sich spätestens in der Mitte des Projektes schon gewünscht, den Auftrag, das Umfeld und die unterschiedlichen Interessen der stakeholder doch ausführlicher geklärt zu haben. Aber wir wissen ja eigentlich wir die Welt eines Projektleiters aussieht, wenn er nur einen Hammer hat…..
„… Offenheit, gegenseitiger Wertschätzung aber auch einem selbstbewussten Vertreten der eigenen Standpunkte, Überzeugungen und Erfahrungen..“ – Das finde ich ganz, ganz toll formuliert und ich persönlich hoffe, dass es mir immer gelingt aus der Wertschätzung heraus zu kommunizieren und dass ich den den Mut habe, meinen Standpunkt zu vertreten. Dieses „mindset“, wie Du es nennst, ist leicht gesagt und anspruchsvoll in der Umsetzung. Und in einer Kultur der wechselseitigen Wertschätzung gelingt es auch leichter seinen Standpunkt zu vertreten.
🙂
Wie bereits erwähnt ist der Projektkontext von zentraler Bedeutung für die Auswahl der Projektmethode. Allerdings kann es auch in einem großen Projekt unterschiedliche Methoden geben, jeweisl für die Teilprojekte. Und damit beginnt zumeist der Konflikt und die Diskussion. Ich stelle jedenfalls immer wieder fest, das in der Softwareentwicklung gerne agile Methoden angewendet werden. Wenn die Vertreter dieser Methoden dann auch zum beispiel den Aufbau von IT-Infrastruktur bei einem großen Serviceprovider anlegen entsteht Chaos. Die Lösung wurde ja bereits hinreichend diskutiert und besteht natürlich in einem Best of Breed Ansatz und viel Kommunikation.