Agiles Projektmanagement für physische Produkte

Eine Frage, die im Zusammenhang mit agilen Frameworks, Prinzipien und Methoden immer wieder gestellt wird, ist folgende:

Kann agiles Projektmanagement auch für physische Produkte oder Bauvorhaben angewendet werden?

Ich sage ganz klar: „JEIN„. 😉

Agile Prinzipien können eigentlich immer angewendet werden. Denn agile Prinzipien stehen für mich stellvertretend für ein systemisches Grundverständnis von Kommunikation, Organisation und Zusammenarbeit. Allerdings gibt es Phasen in „physischen Projekten“, in denen agil-iterative Prozesse nur bedingt sinnvoll sind. Anders ausgedrückt: Ein Bauvorhaben durchgängig mit Scrum abzuwickeln, halte ich für illusorisch.

Anlässlich der Agile Rhein-Mail Usergroup am 26.9.2013 hat Heinz Erretskamp zu diesem Thema einen überaus spannenden und informativen Vortrag gehalten.

Grundsätzlich sollten wir nicht in die Falle tappen, agile und klassische Ansätze ständig nebeneinander zu stellen. Wir brauchen ein integriertes Verständnis, wie die jeweils passenden Ansätze und Methoden angewendet werden können.

Gleichzeitig bedingt eine Integration verschiedener Ansätze aber vorab, dass man tatsächlich VERSTANDEN hat, worum es jeweils geht und vor allem auch, was HINTER (in dem Fall) klassischen und agilen Herangehensweisen steht.

Die vertiefende Auseinandersetzung, die hierfür aber notwendig wäre, passiert in der Praxis leider viel zu selten. Es lebe die Oberflächlichkeit!

6 Gedanken zu „Agiles Projektmanagement für physische Produkte“

  1. Lieber Stefan,

    Danke für den Beitrag. Im Rahmen eines Kundenprojekts habe ich mich u.a. ebenso mit Johnson Controls beschäftig. Auch BMW entwickelt seine Prozesse für die Motorenproduktion mit Hilfe von Scrum. Auch in der Entwicklung von Embedded Systemen und in der Entwicklung medizinischer Produkte setzt man zunehmend auf Agile & Lean Frameworks. Letztlich stammen ja alle diese Prinzipien aus dem Automobilbau.

    Ich denke, dass es eigentlich kein Unterfangen – auch nicht den Hausbau – gibt, wo Lean / Agile Methods, Principles und Practices nicht erfolgreich eingesetzt werden könnten.

    Wenn die Unmöglichkeiten auch immer wieder gerne von Unwissenden oder Festhaltern argumentiert werden. Es geht doch nicht um Dogmatismus. Es geht einzig allein darum, dass wir es bei in die Zukunft gerichteten Vorgaben per se mit Ungewissheit zu tun haben. Die steigende Komplexität treibt selbige in die Höhe. Und selbst beim Hausbau haben wir es auf Grund heutiger Möglichkeiten und Anforderungen bereits mit hoch komplexen Unterfangen zu tun 😉

    Management und Planen täuscht hier sehr häufig Sicherheit und Wohlbefinden vor, lässt uns dann leider in der Realität meistens doch im Stich. Bleibt nur mehr ein potentielles „Verluste schön reden“, wie wird es aus unterschiedlichsten Großprojekten kennen, die mit schöner Regelmässigkeit Kosten x-fach überschreiten, spezifizierte Qualitäten verfehlen und sich bei Lieferanten abzuputzen versuchen.

    Aber worum gehts es denn bei Agile / Lean tatsächlich?
    – Iteratives / inkrementelles Vorgehen
    – Dabei durchaus Planen und Dokumentieren, so viel halt gerade sinnvoll ist
    – Lernen und neu agieren an Hand konkret validierbarer Schritte
    – Offen sein für dabei entstehende Optionen
    – Fokus auf Wertschöpfung anstatt auf Wertverbrauch
    – Nutzung hochfrequenter Feedbackschleifen
    – Flexibilität in Bezug auf neue Erkenntnisse
    – (Pro)aktives Management von Stakeholderbeziehungen
    – Etablierung vertrauensbasierter Kollaborationssysteme

    All das und noch viel mehr bedeutet Agil und lässt sich mit Scrum und auch Kanban wunderbar in jedem Projekt so anwenden, dass die Ergebnisse weit das bisher mögliche übertreffen.

    Das kann aber nur dann klappen, wenn man eigentlich für die obigen Punkte offen ist und sich nicht hinter seiner bisherigen Position – warum auch immer – verschanzen will 😉 Das kann nur dann klappen, wenn man bereit ist, über den Tellerrand der Gegenwart zu blicken.

    Vielleicht braucht es ja eine Umkehr der „Beweislast“ 🙂 Wo tragen „herkömmliche“ Methoden besser zum Entstehen und Ergebnis bei? Und warum kann das nur genau so klappen?

    lg, Mike

  2. Lieber Stefan,
    lieber Mike,

    in der Tat interessiert mich der Hausbau mit Scrum ungemein. Scrum bietet sehr aus meiner Sicht viele spannende Perspektiven und in Softwareprojekten ist dieser Ansatz für mich ein sehr wertvoller. Wie Stefan auch, tue ich mich mit dem Hausbau schwer.

    Gibt es irgendwo ein Beispiel, wo tatsächlich ein Haus (vollständig) mittels Scrum gebaut wurde – oder es zumindest jemand versucht hat? Ich habe leider keine entsprechende Quelle und bin sehr wissbegierig. Unter anderem auf diese Fragen habe ich in diesem Zusammenhang noch keine zufrieden stellenden Antworten gefunden:

    * Welche Arbeit wählen sich die Rohbauer, wenn gerade der Zimmermann drei Tage das Dach aufstellt oder die Trockenbauer solange die Elektriker Strippen ziehen? (Und was bedeutet dies für das „Entwicklerteam“?)
    * Wer nimmt in einem solchen Fall am Daily Scrum teil?
    * Wie bringe ich die Teile meines Teams dazu, an der Retrospektive teilzunehmen, die ihr Gewerk bereits komplett abgeschlossen haben? (Ohne die Kosten explodieren zu lassen.)
    * Wo sollte das Team bei der Definition of Done ansetzen?
    * Wie geht das Team schlüssig mit einer zusätzlichen und als wichtig eingestuften Anforderung für das Wohnzimmer um, wenn dieser Raum bereits physisch gebaut wurde?

    Nein, das ist kein Plädoyer für „das Alte“, das sind ernstgemeinte Fragen, um „das Neue“ besser verstehen zu können. 🙂

    Neugierige Grüße
    Holger

    1. Hallo Holger,

      ich habe mich mit der Thematik nur am Rande beschäftigt, aber mein Hausverstand sagt mir, dass eine durchgängige Abwicklung eines Bauvorhabens mit Scrum oder ähnlichen agilen Frameworks nicht möglich ist.

      Gerne lasse ich mich aber von der Community eines besseren belehren 😉

      Grüße, Stefan

  3. Hallo Stefan,

    mein „Hausverstand“ kommt zum selben Schluss. Aber was ist mit einer Kombination aus Hausbau und Softwarentwicklung? Dein Blog-Beitrag hat mich zu einer Aufgabenstellung inspiriert: Hausbau mit Software: Scrum und-oder klassisch? (http://wp.me/pEnjx-hs).

    Auch ich bin gespannt, was die Community dazu meint. Die Ergebnisse könnten sicherlich eine Zusammenfassung auf openPM wert sein, sofern sich ein paar Menschen finden, die ihre Lösungen veröffentlichen.

    Beste Grüße
    Holger

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