Ich habe gerade auf Google News die PM-Neuigkeiten dieser Woche gelesen. Unter anderem ist mir das Stichwort „Ressourcenmanagement“ immer wieder ins Auge gesprungen. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, um folgende Frage in den Raum zu stellen:
„Kann (Projekt)Ressourcenmanagement in einer komplexen Welt überhaupt funktionieren?“ (Mal ganz abgesehen davon, dass der Begriff Ressourcenmanagement an sich eine Farce ist, denn Menschen sind keine Ressourcen!)
Management und Komplexität
Auch auf die Gefahr hin, dass Sie es schon nicht mehr hören können: Die Komplexität in Gesellschaft und Wirtschaft ist in den letzten Jahrzehnten sprunghaft angestiegen. Was aber ist Komplexität eigentlich? Hierfür müssen wir verstehen, was komplexe Systeme sind und wie sie sich von einfachen und komplizierten Systemen unterscheiden. Hierzu ein kleines Schaubild:
Überall dort, wo die Anzahl der Systemelemente hoch und die Systemdynamik (inkl. Systemumfeld) hoch ist, haben wir es mit komplexen Systemen zu tun. In diesem Zusammenhang sollten wir uns bewusst sein, dass wir hier mit „klassischem (Projekt)Management“ im Sinne von Plan-Do-Check-Act nur bedingt weiter kommen. Denn komplexe Systeme sind weder plan- noch verstehbar!
Trotzdem versuchen viele Unternehmen nach wie vor, komplexen Realitäten mit immer komplizierteren und vermeintlich besser entwickelten Managementsystemen Herr zu werden. Doch das wird nicht funktionieren. Wir müssen umdenken.
Ressourcenmanagement und Komplexität
Gerade am Beispiel des Ressourcenmanagements in Organisationen werden häufig die Absurditäten des „klassischen Managements“ deutlich. Denn mit hohem Aufwand wird versucht, Dinge zu planen und zu prognostizieren, die per Definition nicht planbar sind.
Nach wie vor versprechen PM Beratungsunternehmen, IT-Anbieter oder sonstige Experten, dass die Unternehmensleitung mit ihren Lösungen einen „perfekten Überblick über die aktuelle und zukünftige Ressourcensituation bekommt“. Dies halte ich für Management-Humbuk.
Denn ich bin davon überzeugt, dass wir in komplexen, wissensorientierten (Projekt)Bereichen andere Prinzipien, Praktiken und Führungssysteme brauchen.
Eine Annäherung: Ressourcenmanagement in einer komplexen Welt
Ressourcenmanagement im 20. Jahrhundert | Ressourcenmanagement im 21. Jahrhundert | |
Führungs- und Managementverständnis | mechanistisch, X-Theorie | systemisch, Y-Theorie |
Fokus auf | Management | Führung |
Unternehmenskultur | Misstrauenskultur | Vertrauenskultur |
Führungsverhalten | Anweisung, Kontrolle, Überwachung, Druck | Wertschätzende Kommunikation, Feedback, Unterstützung, Vereinbarungen |
Ressourcenplanung | von oben nach unten | lateral, rollierend |
Ich gebe zu, das ist noch keine Lösung. Aber in komplexen Problemstellungen kann es meines Erachtens keine einfachen Lösungen im Sinne von Patentrezepten geben. Vielmehr müssen wir uns bewusst werden, mit welchem Problem wir es überhaupt zu tun haben? Und dies passiert meines Erachtens noch viel zu selten – gerade auch im Zusammenhang mit dem Thema Ressourcenmanagement.
Was steht eigentlich hinter „Ressourcenmanagement“?
Wir sollten uns u.a. fragen, was eigentlich hinter dem Thema Ressourcenplanung und -management steht? Was wollen Unternehmensverantwortliche eigentlich erreichen?
Wahrscheinlich ist die Antwort recht simpel:
- Effektivität: Die Menschen im Unternehmen beschäftigen sich mit den wirklich wichtigen Themen und Projekten.
- Effizienz: Die Menschen im Unternehmen setzen die zur Verfügung stehende Zeit möglichst wertschöpfend ein.
Meine Frage lautet nun aber: Können wir diese Ziele mit den klassischen Managementmethoden erreichen? Wohl kaum.
Eine Frage der Reife
Einen Aspekt sollten wir in diesem Zusammenhang noch bedenken: Die Frage, wie Menschen in Organisationen und Projekten geführt werden können, hängt stark vom jeweiligen individuellen und organisationalen Reifegrad ab. Ich gebe zu, dass „klassisches Management“ in manchen Bereichen noch recht gut zu funktionieren scheint. Allerdings werden hier meines Erachtens wichtige humanitäre Werte wie Respekt, Gleichwertigkeit oder Toleranz häufig mit Füßen getreten.
Dort, wo Menschen aufgrund ihrer Sozialisation und ihres Werdeganges eine hohe persönliche Reife im Sinne von Mündigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung mitbringen, kann Management nach einem veralteten Paradigma nicht mehr funktionieren.
Deshalb dürfen wir nicht weiter akzeptieren, dass Unternehmen immer noch an Praktiken festhalten (u.a. im Bereich Ressourcenmanagement), die bei genauer Betrachtung Relikte einer vergangenen Zeit darstellen. Hierzu brauchen wir Führungskräfte, die weiter denken und mutig handeln.
Volle Zustimmung. Genau genommen ist Management nach der X-Sicht die direkte Fortsetzung der Sklaven-Verwalter nur mit anderen Mitteln.
Ich würde mich freuen, wenn der Artikel auf dem Blog der Initiative Wirtschaftsdemokratie nochmals gepostet würde.
Viele Grüße
Martin
P.S.: Tippfehler in der Titelzeile der Tabelle. In der rechten Spalte soll vermutliche „21. Jahrhundert“ stehen.
Hallo Stefan,
ich glaube, dass man über diesen Punkt:
Effizienz: Die Menschen im Unternehmen setzen die zur Verfügung stehende Zeit möglichst wertschöpfend ein.
nochmal nachdenken könnte.
Vielleicht macht eine Verschiebung
mehr in Richtung:
Effizienz: Die Menschen im Unternehmen setzen *Ihr zur Verfügung stehendes Können* möglichst wertschöpfend ein.
Auf den ersten Blick glaube ich, dass wenn sich „Alles“ dynamisch verändert, das (Lernen)Können (über)lebensdienlicher ist, als ein Zeitfokus…
(Der vlt besser dann verwendet werden kann,
wenn „Alles“ gleichbleibt und schon gelernt ist.)
Viele Grüsse,
Bernd
Lieber Stefan,
wieder einmal ein guter Beitrag. Ich stimme insgesamt ein, wobei ich trotzdem die provokante These aufstelle, dass nicht nur die Führungskräfte bereits sein müssen, sondern auch die Mitarbeiter ohne Führungsaufgaben.
Selbstbestimmung und Eigenverantwortung braucht ein dazu geeignetes (Denk)Umfeld. Darin sind wir uns ja einig. Allerdings hilft die progressivste und mit allen Leadershipwassern gewaschene Führungspersönlichkeit nichts, wenn die Mitarbeiter ganz einfach „ihren Job“ erledigen wollen. Ist das falsch? Ich glaube nicht. Es ist halt nicht das, was wir Projektmanager uns wünschen würden 🙂
Ich habe manchmal den Eindruck, dass gerade die immer komplexer werdende Umwelt (die Ukraine ist IMHO ein perfektes, politisches Beispiel für Komplexität) mit ihren unendlichen, kommunikativen Möglichkeiten, die Menschen eher in die andere Richtung treibt. Das System „Gesellschaft“ ist sprichwörtlich fließend. Mehr „order and command“ und weniger visionär erscheint mir der akutelle Zeitgeist – unabhängig von anonymen Petitionen und „oneclick-Umfragen“ der sog. Zivilgesellschaft.
Gerade der ewige Konflikt Linie vs. Projekt zeigt doch, dass die Menschen mit den abstrakten Ideen von Kybernetik, Systemtheorie usw. schlichtweg überfordert sind. Egal wie brauchbar, richtig oder falsch diese Theorien in der Praxis sind.
Ressourcenmanagement heißt für mich vor allem, die RICHTIGEN LEUTE zum RICHTIGEN ZEITPUNKT am RICHTIGEN ORT einzusetzen. Ausgewogenheit und der Wille zur Umsetzung von nicht-trivialen Aufgaben ist IMHO die Grundlage, um überhaupt in Projekten tätig sein zu können – und letztlich ist ja mittlerweile auch das eigene Billy-Regal ein „Projekt“. 😉
LG
Günter
Ich hab mal als Beispiel ein Interview nach einer Komplexitätsexplosion bei einem Automobilhersteller in Japa aus dem Jahre 2010 (glaube ich) rausgesucht:
http://knowledge.wharton.upenn.edu/article/under-the-hood-of-toyotas-recall-a-tremendous-expansion-of-complexity/
Dieses Beispiel hat Signalwirkung, da es (stark vereinfacht) folgende Problematik transparent macht:
Command & Control geführte Unternehmen treffen auf eine immer STRENGER (viele und detailierte Gesetze / Auflagen / Richtlinien)
werdende Gesellschaft (Umgebung), während Sie gleichzeitig unter immer höheren Innovationsdruck
(durch immer höher werdende Ansprüche der Marktteilnehmer und Konkurenzverhalten) kommen.
In diesem Beispiel wird angesprochen, dass das Verwaltungssystem!, also nicht das Produktionssystem, den Leitgedanken (grob übersetzt) „Wir sind dankbar für Probleme, da wir uns durch sie verbessern…“
nicht (Vor)lebte. Die hohe Qualität der Produkte hatte Sie im Laufe der Zeit „zu selbstsicher“ werden lassen…
Auf diese Weise kam es zu Problemen und einer Rückrufaktion vieler PKWs.
(Anmerkung: Zum Glück kam diese Verwaltung nicht im Laufe der Zeit auf die Idee, den Druck weiterzugeben und
Fehler / Probleme etc.. auch „bestrafen“ zu wollen, dass hätte die Problematik vermtulich deutlich verschärft…)
In solchen „Situationen“ ist eigentlich völlig unklar, WAS die benötigte Ressource ist.
Es können eben auch so „Dinge“ wie die Lebendigkeit eines „Leitsatzes“ sein…
…in anderen Fällen liegt es vielleicht auch daran, das sich einbringen und mitzudenken nicht gewünscht ist.
(Ala: Das Einzige was du verdienen kannst, wenn Du Dich einbringst, ist ein blaues Auge…)
Ich sehe es so, dass es um die Ressourcen VON Menschen geht und das durch Diese gute & erfolgreiche Projekte nicht nur erfolgreich,
sondern auch „kopiergeschützt“ sind….
*********************************************
Ein anderes (kleineres) Beispiel wären für mich die richtigen Leute, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort,
aber alle Beteiligten müssten jederzeit mit einer 200% Auslastung für unbestimmte Zeit rechnen. Oder Beispielweise mit permaneten Störungen und gleichzeitigen Änderungen von Anforderungen
oder wirklich unklaren, unausgesprochenen Anforderungen.
In solchen Situationen kann man, glaube ich, nicht gut Ressourcen „planen“.
Ich könnt mir vorstellen, das Puffer oder „wellenförmige“ Auslastungszeiten bei den „Gebern“ in diesen Fällen Einiges zumindest machbar machen, aber eben nicht wirklich planbar oder im Vorfeld definierbar….