In letzter Zeit bin ich immer wieder über die Formulierung „postfaktisches Zeitalter“ gestolpert. Sie auch?
Die Popularität dieser Redewendung haben wir wohl Frau Merkel zu verdanken. Aber die deutsche Kanzlerin hat recht: Zustände, Situationen und Probleme werden immer widersprüchlicher, immer schwerer (be)greifbar, immer diffuser. Dies gilt natürlich für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gleichermaßen.
Deshalb habe ich mich kurzerhand entschlossen, einige für mich wichtige Gedanken in diesem Zusammenhang zusammen zu tragen und in einer Infografik darzustellen. Gedanken, die in 15 Jahren Unternehmensberatung und 10 Jahren Blogger-Praxis zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Gedanken, die zu persönlichen Prinzipien und Überzeugungen reiften.
Aber Schritt für Schritt.
Das postfaktische Dilemma. Die VUCA Welt.
Wie äußert sich das, was wir als postfaktisch bezeichnen? Woran können wir die neue Widersprüchlichkeit und Komplexität erkennen? Einige Beispiele:
- Diskussionen verlaufen immer häufiger emotional. Unterschiedliche Standpunkte prallen mit Intensität aufeinander. In sozialen Systemen kommt es vermehrt zu Lagerbildung und Polarisierung.
- Sitzungen werden beendet, ohne ein klares Ergebnis, eine Entscheidung oder klare nächste Schritte vereinbart zu haben. Aber es wurde diskutiert und gestritten – leider aber wenig konstruktiv.
- Unternehmen beschäftigen sich mit vielen – zu vielen – Themen, Projekten, Vorhaben. Der Fokus für das vermeintlich Wesentliche geht verloren. Business Theater.
- Menschen in Organisationen sind permanent beschäftigt. Hektische Betriebsamkeit, wohin das Auge reicht. Gleichzeitig schaffen wir (im wahrsten Sinne des Wortes) immer weniger.
Der Übergang in die diese neue Zeit hat sich abgezeichnet. Immer mehr, immer schneller, immer chaotischer. Auch die viel zitierte Abkürzung VUCA schlägt in dieselbe Kerbe. Treibende Kraft sind die neuen Möglichkeiten der informationellen Vernetzung und die Digitalisierung.
Bei aller berechtigten Kritik des Management-Bullsh**-Bingos bin ich überzeugt: Es stimmt. Der Wandel wird radikal und nachhaltig sein. Was aber bedeutet das für uns?
Ich habe 5 Strategien im Umgang mit dem postfaktischen Zeitalter zusammen gefasst, die mein Denken in den letzten Jahren nachhaltig geprägt haben. Diese Gedanken möchte ich gerne mit Ihnen teilen.
Zuvor aber möchte ich aber noch erwähnen, dass die Gedanken alles andere als neu (sondern vielmehr uralt) sind und ich mir die Punkte 1-3 von Prof. Herbert Pietschmann geliehen habe. Pietschmanns Ausführungen zur Logik unseres Denkens und zur Dialektik halte ich für essenziell und bahnbrechend.
1 Beobachte, ohne zu bewerten.
Die meisten von uns wurden ein Leben lang darauf getrimmt, Antworten zu geben und in Lösungen zu denken. In der Familie, in der Schule, in der Ausbildung, im Beruf. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Aber in Zeiten hoher Vielfalt und Komplexität führt uns dieses Denken immer öfter in die Sackgasse.
Stattdessen müssen wir lernen, länger in der Beobachtung zu bleiben. Ohne die jeweilige Situation reflexhaft zu bewerten. Das ist schwierig. Für viele von uns sehr schwierig sogar. Denn hier geht es um eine Grundhaltung, wie wir mit der Welt in Kontakt treten.
2 Unterscheide, ohne zu trennen.
Unser Denken ist stärker von entweder-oder als von sowohl-als-auch geprägt. Wir versuchen in allen Bereichen, uns Widersprüchlichkeiten und Unterschiede vermeintlich logisch zu erklären. Das führt häufig zu Logiken, die in gut und schlecht, schwarz und weiß, richtig und falsch unterscheiden. Descartes lässt grüßen.
Stattdessen sollten wir Unterschiede, Widersprüche, Spannungen, Vielfalt als etwas Wertvolles und Wichtiges begreifen. Denn nur dadurch kann Lebendigkeit und Fortschritt entstehen. Es gilt, die Unterschiede zu erkennen und im Sinne einer übergeordneten, gemeinsamen Zielsetzung zu nutzen.
3 Vereine, ohne zu egalisieren.
Damit sind wir schon beim nächsten Grundsatz – nämlich der Kunst, Widersprüchlichkeiten im Sinne des Ganzen zu nutzen. These – Antithese – Synthese. Konstruktive (Streit)Gespräche.
Dies kann nur gelingen, wenn wir einen Rahmen für gute Dialoge gestalten, mit einer Grundhaltung der gegenseitigen Wertschätzung. Mehr Führung, weniger Steuerung. Mehr Prinzipien, weniger Regeln. Mehr Lebendigkeit, weniger Bürokratismus. Mehr Gelassenheit, weniger Verbissenheit.
4 (Er)Kenne Dich selbst.
Wir überschätzen in der Regel das, was wir glauben zu wissen. Und wir unterschätzen das, was wir nicht wissen. In zunehmend dynamischen und widersprüchlichen Zeiten ist mehr Demut gefordert. Mehr Demut vor dem, was ist bzw. sein könnte.
Der Schlüssel zu einem individuellen Lern- und Reifeprozess liegt in der Selbsterkenntnis. Denn starke und einflussreiche Persönlichkeiten zeichnet in erster Linie ein gesundes Selbst-Bewusstsein aus.
5 Handle mutig.
Erich Kästner hat einmal gesagt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Dieser Gedanke hat im postfaktischen Zeitalter eine neue Bedeutung gewonnen. Denn angesichts der vielfach abnehmenden Planbarkeit müssen wir früher und mutiger entscheiden und quasi „im Gehen lernen“.
Moderne Arbeits- und Organisationsformen wie Agile, Lean oder Holacracy propagieren dieses Primat des Handelns und die größtmögliche Selbstorganisation. Allerdings mit permanenten Rückkoppelungs- und Reflexionsschleifen.
Ich möchte mit einem Zitat von Gerhard Wohland schließen: „Mut ist ein Talent.“
***
Neugierig geworden? Dann sollten Sie sich gleich zum PM Camp Dornbirn anmelden. Denn dort werden wir uns mit dem Motto „Unterscheide, ohne zu trennen“ auch mit Widersprüchlichkeiten, Polaritäten und Paradoxien auseinander setzen.
Super!
LG vom Rhetorik Training
Tolle Zusammenstellung des postfaktischen Dilemmas. Gerade den zweiten Punkt „Sitzungen werden beendet, ohne klares Ergebnis“, erkenne ich immer häufiger im Berufsalltag. Gefährlich, wenn gleichzeitig Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit erzielt werden soll.
Ich kann mich dem Ergebnis also nur anschließen, wieder mutiger zu handeln und bei Nichtgefallen von Ergebnissen oder falschen Darstellungen die eigene Stimme zu finden.