Buchrezension: Projektdynamik von Peter Addor

Peter Addor (Bild) bezeichnet sich selbst als „Berater für Systemisches Denken und Unternehmensmodellierungen mit System Dynamics“. Er hat Mathematik, Physik, Chemie und Philosophie an der Universität Bern studiert und verfügt zudem noch über eine Reihe von Zusatzausbildungen (IT, BWL, NLP etc.). Spätestens jetzt sollte klar sein: Peter ist ein kluger Kopf.

Bereits vor einiger Zeit bin ich über die interessanten Blogbeiträge von Peter gestolpert. Denn er schreibt über die Themen, die ihn (und auch mich) beschäftigen: Projektmanagement, Komplexität, System Dynamics, Spieltheorie, Ungewissheit oder Wissensmanagement.

Kürzlich hat Peter das Buch „Projektdynamik – Komplexität im Alltag“ veröffentlicht (Verlag Liebig, Frauenfeld 2010. ISBN 978-9523545-6-8). Dieses Buch beschäftigt sich im Kern mit zwei Themen (ebd. S. 15-16):

  • Zum Einen soll das Buch die Einsicht erzeugen, dass unsere Entscheidungen, Interventionen und Problemlösungen [in komplexen Projekten] Neben- und Fernwirkungen haben können.
  • Zum Anderen fokussiert das Buch auf Integrations- und Migrationsprojekte (MIP) in verschiedensten Branchen (IT, Bau etc.).

Diese Kombination ist nicht alltäglich und deshalb so besonders und spannend. Doch eines gleich vorweg: „Projektdynamik“ ist keine triviale Lektüre. Es setzt eine gewisses Wissen und praktische Erfahrung im Umgang mit komplexen Projekten / Systemen voraus. Denn in dem Buch werden komplexe Projekte durch eine systemtheoretische und mathematische Brille betrachtet. Hochspannend für jemanden, der sich bereits theoretisch und praktisch mit dieser Materie beschäftigt hat. Denn neben den fundierten theoretischen Beschreibungen beinhaltet Addors Buch auch viele praktische Erfahrungen und Fallbeispiele, die er in den letzten knapp 30 Jahren gesammelt hat.

Hier eine kurze kapitelweise Übersicht der Inhalte:

  • „Wir arbeiten in Strukturen von gestern mit Methoden von heute an Problemen von morgen vorwiegend mit Menschen, die Strukturen von gestern gebaut haben und das Morgen nicht erleben werden.“ Dieses Zitat von Knut Bleicher charakterisiert das erste Kapitel, in dem der Autor Projekte als komplexe Systeme charakterisiert und beschreibt.
  • Im Kapitel „Projektmodelle“ beschreibt Addor, nach welchen Entwürfen und mentalen Modellen wir in Projekten typischerweise vorgehen. Kleiner Wermutstropfen: auf die agilen Modelle geht er hier nicht ein.
  • Im 3. Kapitel mit dem Titel „Die ordnende Kraft zufälliger Ereignisse“ wird das Konzept der „Projektdynamik“ im Detail erläutert. „(Projekt)Dynamik kommt zustande durch das Lernen und Verstehen von Zusammenhängen bezüglich des Projektgegenstandes.“ (ebd. S 72). Anhand von Beispielen wird das Verhalten komplexer Systeme beschrieben – spannend!
  • Weiters werden große und kleine Systeme differenziert und deren Wirkungsweise näher beschrieben. Ein Auszug: „Die Projektprozesse dissipiere die Zu- in die Abflüsse und erhalten die Projektstruktur damit am Leben.“ (ebd. S. 102).
  • Kapitel 5 widmet sich dem „Verhalten unter Ungewissheit“. Hier beschreibt Peter Addor u.a. Entscheidungsheuristiken, wie sie in Projekten häufig angewendet werden. Eine klare Absage erteilt der Autor dem Versuch der rationalen Entscheidungsfindung, denn diese ist in Projekten vielfach gar nicht möglich.
  • Das folgende Kapitel knüpft an das Thema des vorangegangenen an und beschäftigt sich mit Risikomanagement und Unvorhergesehenem. Besonders interessant ist hier die Auseinandersetzung mit dem Thema Projektrisikomanagement – sowohl nach dem klassischen Modell als auch nach einem „erweiterten Modell“.
  • Kapitel 7 widmet sich dem „Problemlösen unter Ungewissheit“. Besonders der Teil „Planen versus Improvisieren“ hat hier meine Aufmerksamkeit angeregt. Denn jeder, der schon mit wirklich komplexen Projekten zu tun hatte weiß, dass Planung gut und wichtig ist, dass zu bestimmten Zeitpunkten aber professionelles Improvisieren unvermeidbar ist. Mehr noch: Geschickte Improvisation kann in komplexen Situationen zu wesentlich besseren Ergebnissen führen als das sture Festhalten an planungsorientiertem Handeln.
  • Im abschließenden 8. Kapitel setzt sich der Autor mit dem Thema „Achtsamkeit und Planung im Projektmanagement“ auseinander. Dieses Kapitel hat meines Erachtens den größten (unmittelbaren) Praxisbezug im gesamten Buch. Ein guter Abschluss.

Bewertung: „Projektdynamik“ von Peter Addor ist eine empfehlenswerte und wertvolle Lektüre für erfahrene Projektmanager/innen und all jene, die sich gerne mit Komplexität und komplexen Systemen auseinandersetzen. Das Buch ist theoretisch sehr fundiert verfasst, trotzdem ist ein hoher Praxisbezug stets gegeben.

PS: Etwas schade ist, dass das Buch von der optischen Aufmachung her nicht besonders attraktiv geworden ist. Dies hat übrigens auch schon Andreas Zeuch in seiner Rezension des Buches angesprochen.

PPS: Und noch eine allerletzte kritische Bemerkung möchte ich mir erlauben: Teilweise fehlte mir bei der Lektüre etwas der rote Faden durch das Buch. Einzelne Passagen regen zwar sehr zum Nachdenken an, doch wirklich flüssig liest sich das Buch nicht. Vielleicht liegt’s aber auch an der zuvor angesprochenen Aufmachung…?