Vergangene Woche ist das passiert, was ich erhofft hatte: Der Beitrag „Projektmanagement = Management“ hat Resonanz erzeugt – in den Kommentaren, auf Twitter und auch auf Facebook. Jetzt kann ich es ja sagen: Meine Überlegung war, einfach mal eine provokante und eher unscharfe These in den virtuellen Raum zu werfen und diese dann schrittweise – gemeinsam mit Ihnen – zu konkretisieren.
Besonders gefreut haben mich die kritischen Stimmen und Rückmeldungen, u.a. auch heute früh von Bernhard M. Scheurer (Autor „Projektherz„). Auf Hr. Scheurers Argumente möchte ich nun kurz einzeln eingehen (den ganzen Kommentar finden Sie hier):
„[…] dass Projektmanagement etwas mit Management zu tun hat, darüber lohnt es nicht zu streiten, das ist trivial.“
Stimmt. Eine Kernfrage ist meines Erachtens, wie große die Schnittmengen sind.
„Der Pfiff in Ihrem Artikel ist ja auch ein anderer, nämlich die Gleichsetzung der beiden Wörter. Ich halte das für sehr gewagt […]„.
Wie oben erwähnt: Den Pfiff mit der – zugegebenermaßen unzulässigen – Gleichsetzung der beiden Begriffe habe ich bewusst hinein gebracht, um den Punkt, um den es mir eigentlich geht, in den Fokus zu rücken. Denn ich bin davon überzeugt, dass sich die Projektmanagementdisziplin in den letzten Jahren durch die fast schon religiös anmutende Auseinandersetzung mit Standards, Prozessen, Vorgehensmodellen und Methoden vom wirklich Essentiellen immer weiter entfernt hat. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass Hr. Scheurer und ich gerade in diesem Punkt sehr nahe zusammen liegen.
„Angenommen, ich sage: „Richtige und gute Rockmusik unterscheidet sich im Kern nicht von richtiger und guter Musik.“ Ich vermute, Mick Jagger wird ebenso widersprechen wie Daniel Barenboim. „Rocken“ bedeutet mehr als nur zu musizieren, es geht um den speziellen Klang und Rhythmus, um Tanz und Leidenschaft. Projektmanagement ist für mich Rockmusik, nicht zu verwechseln mit Barockmusik oder Jazz.“
Eine tolle Metapher! Ich wiederum behaupte: Die PRINZIPIEN, die gute Musiker oder Musikgruppen ausmachen, sind universell. Es geht um handwerkliche Fähigkeiten, kontinuierliches, hartes und teilweise mühsames Üben, Trainieren und Lernen, Leidenschaft, Empathie und Leidenschaft etc.
„Peter Kruse erklärt in seinem Video den Unterschied old school / new school. Er betont, dass herkömmliches Management (Prozesse optimieren, Menschen coachen etc.) auch in Zukunft wichtig sein wird, aber es muss etwas hinzukommen: Die Fähigkeit, Sinn zu stiften (ab 0:58) und Menschen zu faszinieren (ab 1:31). Ich behaupte: Den Sinn und die Faszination bekommst du nicht durch Management, sondern durch Wagnis, Mut zur Veränderung, ein einzigartiges Ziel, sprich: ein Projekt. Von mir aus nennen wir es „new school“, dann hat Christoph Kolumbus halt new school praktiziert.„
Dass es etwas Übergeordnetes, etwas Höheres braucht, aus dem wir Menschen einen „Sinn“ ableiten können, ist unbestritten. Ich bin sehr froh, dass Hr. Scheurer dieses Thema explizit in die Diskussion eingebracht hat. Ich habe nicht behauptet, dass dieser Sinn durch das Management erzeugt werden kann (dies hat auch Peter Kruse in dem Video nicht behauptet). Vielmehr beziehen wir den Sinn aus übergeordneten Zielen und Ergebnissen, die am Ende des Tages „gut für die Menschen“ sein müssen.
„Genau das vermisse ich bei Fredmund Malik. In „Führen, Leisten, Leben“ (1. Auflage 2000, Vorwort 1999) wird das Thema „Projekt“ auf einer Viertelseite abgehandelt – bei insgesamt 400 Seiten ist das weniger als ein Promille. Ebenso wenig ist von Sinnstiftung und Faszination die Rede, auch nicht wirklich vom „Leben“ (wie im Titel suggeriert), sondern überwiegend von Leistung/Effizienz/Karriere.“
Es stimmt sicher, dass Prof. Malik in seiner ganze Art und Weise, Dinge zu tun und auszudrücken, auf viele Menschen nüchtern und sachlich wirkt. Ich würde sogar noch weiter gehen und behaupten wollen, dass dies auch seine kommunikative Positionierung / seine „Marke“ ausmacht. Gerade deswegen war und ist er so erfolgreich. Aber auch hier gilt Watzlawicks einfache und gleichermaßen geniale Erkenntnis: „Wahr ist nicht, was A sagt, sondern was B versteht.“ So lese ich – um es am Beispiel von Maliks Buch „Führen, Leisten, Leben“ aufzuhängen – aus dem Kapitel „Positiv denken“ ab S. 157 viele Aspekte heraus, die mit Inspiration und Sinnstiftung zu tun haben.
Der Begriff „Inspiration“, den ich im Untertitel von „Projektherz“ verwendet habe, wird in Maliks Buch ins Lächerliche gezogen (Teil III, Zusammenfassung, S. 268f.). Herr Malik ist weder Rocker noch Musiker, er ist habilitierter Musiktheoretiker. Und den grundlegenden Gedanken Peter Druckers (20. Jahrhundert) hat er nichts hinzugefügt, was mich vom Hocker reißen würde.“
Dies wiederum sehe ich etwas anders, denn gerade Maliks scharfe Abgrenzung zu einer „Psychologisierung von Management“ (S. 53) ist für mich aufgrund der Klarheit sehr erfrischend (um nicht zu sagen inspirierend).
„Sie müssen sich entscheiden, Herr Hagen: Drucker/Malik oder DeMarco/Scheurer, Management oder Projektmanagement. Und vergessen Sie nicht: Ihre Domain heißt PM-BLOG, nicht M-BLOG.“
Danke für diesen weiteren Steilpass! Denn jetzt kommen wir zum wahren Kern. Denn: Die Wahrheit liegt in der Mitte. Es gibt in diesem Thema – gleich wie auch im richtigen Leben – keine ultimativen Wahrheiten. Kein einziger Mensch hat für sich allein gesehen und ultimativ recht. Vielmehr kann man nur im jeweiligen Kontext, in der jeweiligen Situation versuchen zu beurteilen, ob man wohl näher an der vermeintlichen „Wahrheit“ liegt oder eben nicht.
Genau dieses Denken und Handeln in Spannungsfeldern und Polaritäten ist es auch, was wir beherrschen müssen, wenn wir den Versuch unternehmen, andere Menschen (im allerbesten Sinne des Wortes) zu führen.
Es bleibt spannend… 🙂