Dr. Gerhard Wohland hat mein Denken über Organisation, Führung und auch Projektmanagement wesentlich geprägt. Denn er hat in seiner Theorie zu „Dynamikrobusten Höchstleistern“ die soziologische Systemtheorie nach Niklas Luhmann in eine verständliche und einfache Sprache gebracht. So, dass die Theorie überaus praktisch geworden ist. Frei nach Kurt Lewin: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“
Gerhard Wohland und Ralf Hildebrandt bieten auf ihrer Webseite Dynamikrobust.com kostenlos 29 Denkzettel zum Download an. Diese sollten Sie sich unbedingt mal durchlesen – es lohnt sich!
Unterscheidung von blau und rot
In der Systemtheorie werden bewusst Differenzen hergestellt. Diese sind wichtig, um Probleme und Sachverhalte überhaupt präzise denken und bearbeiten zu können.
Wohland greift dies auf und stellt folgenden Unterschied her:
- blau = kompliziert
- rot = komplex
Blaue Probleme sind in sich stabil (z.B. jedes technische Problem). Sie können und müssen mit Wissen gelöst werden. Rote Probleme können sich permanent verändern (z.B. Wahlverhalten). Um sie zu lösen, braucht man gute Ideen, Kreativität und Talent.
Im Denkzettel 1 wird die Unterscheidung zwischen blau und rot wie folgt dargestellt:

Das Yin-Yang-Symbol soll das Prinzip der Gegensätze verdeutlichen, wenngleich sich das eine durch das andere bedingt – und vice versa. (vgl. Dialektik)
Wichtig: Im Industriezeitalter hat sich Management vor allem auf blaue Anteile konzentriert. Denn durch klar definierte und gesteuerte Prozesse und Strukturen konnten effiziente Produktionen aufgebaut werden, welche Produkte in großen Stückzahlen erzeugen konnten.
Im vernetzten, digitalisierten Zeitalter steigen die roten Anteile in der Welt explosionsartig an. Organisationen (und auch Projekte) müssen sich auf verstärkte Dynamik und Unsicherheit vorbereiten. In dieser Umfeldveränderung liegt auch der Ursprung agiler Managementmodelle und -prinzipien.
These: Dem traditionellen Projektmanagement liegt ein blau geprägtes Welt- und Menschenbild zu Grunde. Im Industriezeitalter konnten (und mussten) Projekte sauber geplant und gesteuert werden. Im zunehmend dynamischen digitalen Zeitalter (Stichwort VUCA) brauchen wir ein neues Mindset und neue Werkzeuge, um die komplexen Anteile in Projekten sinnvoll bearbeiten zu können. Genau das versuchen wir mit Agile. Aber Agile ist erst der Anfang.
Wir brauchen zur erfolgreichen Gestaltung, Entwicklung und Steuerung von Organisationen (und Projekten) in Zukunft vor allem ein tiefes Verständnis für gute, fundierte (System)Theorie.
Dualität von Projekten
Im Denkzettel 14 wird das Prinzip der Dualität von Projekten beschrieben.

Projekte müssen in der Lage sein, stabile und dynamische Anteile gleichermaßen in Produkte und Lösungen zu transformieren, die für das Umfeld / den Markt von Wert sind. Klassische PM Methoden haben ihren Ursprung in der blauen Welt, agile Werkzeuge und Prinzipien haben den Ursprung in der roten Welt. Der situative Kontext des jeweiligen Projekts bestimmt, welche Anteile in welcher Intensität gebraucht werden.
Also nicht entweder-oder, sondern sowohl-als-auch.
Einordnung von Projekten
Wenn man Projekte und Projektmanagement in einen größeren Organisationszusammenhang einordnet, entsteht dieses Bild:

Organisationen müssen in der Lage sein, stabile und dynamische Anteile professionell zu verarbeiten. Das war immer schon so. Wenn aber die roten, dynamischen Anteile immer weiter zunehmen, kann muss dies tiefgreifende Veränderungen im Organisationsdesign und der Organisationskultur bewirken. Denn eine „blau geprägte Organisation“ kann in einer zunehmend „roten Welt“ nicht mehr bestehen. So einfach ist das.
Fazit
Was bedeutet diese Erkenntnis für das Projektmanagement? Wir müssen uns intensiv und rasch mit der Frage beschäftigen, wie wir unser Unternehmen zum „Dynamikrobusten Höchstleister“ entwickeln können.
Dies gilt insbesondere auch für den Bereich des Projektmanagements, denn hier schießen wir nach wie vor mit blauen Methoden (Kanonen) auf rote Probleme (Spatzen) 😉 Das kann nicht funktionieren.
Wir brauchen mehr Transparenz, mehr Agilität aber auch einen klaren Rahmen und verbindliche Prinzipien. Kurz: Wir müssen beginnen, gute Systemtheorie zu verstehen und anzuwenden.
Nachtrag
Ich bin gerade auf ein Video gestoßen, in dem Gerhard Wohland und Ralf Hildebrandt in 2016 auf „Dynamikrobustes Projektmanagement“ eingegangen sind. 50 gut investierte Minuten!