Hypothesen zur „Organisation der Zukunft“

Angesichts der Diskussion rund um das Thema „Enterprise 2.0 / Projektmanagement 2.0“ ist es mir wichtig klarzustellen, dass es dabei natürlich nicht primär um die lächerliche Technologie geht. Vielmehr geht es um die Frage, unter welchen strategischen, strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen (=Ordnungsmomente) Organisationen ihren Auftrag bestmöglich erfüllen können.

Oder anders ausgedrückt: Wie muss die „Organisation der Zukunft“ gestaltet sein, um unter den neuen Umfeldbedingungen lebensfähig zu sein?

Ich möchte einige meiner Hypothesen dazu kurz darlegen.

Exkurs: Kreativität

Als Hinführung zur Beantwortung der obigen Frage empfehle ich dieses Video von Prof. Dr. Peter Kruse (ca. 7:30 Min). Er legt in dem Video seine Sichtweise dar, wie Kreativität in Organisationen entstehen kann:

Wichtige Aspekte, die im Video mit Prof. Kruse vorkommen:

  • Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Variablen in sozialen Systemen –> Kreativität (und auch Organisationskultur) sind beispielsweise indirekte Variablen!
  • Ziel und Anspruch: Schaffung indirekter Möglichkeitsräume; Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen
  • intelligente / kreative Systeme sind in der Lage, neue Verhaltens- und Prozessmuster zu schaffen (= Innovation)
  • komplexe Ordnungsmuster entstehen durch Vielfalt und das bewusste Zulassen von Störungen
  • Entscheidend sind Rückkopplungsmechanismen durch Vernetzung + Diversität, sprich die Vielfalt von Kompetenzen, Zugängen, Meinungen…
  • Die Komplexität und Dynamik innerhalb des Systems muss mindestens so groß sein wie die Komplexität und Dynamik am Markt! (= Ashby’s Law)
  • Erfolgsprinzipien: Achtsames Beobachten, hohe Interaktivität, hohe Rückkoppelungsdichte, hohe Vielfalt im System.
  • Kreative Netzwerke: Erregung (Creator) – Lösungsbildung (Owner) – Bewertung (Broker)

Ergänzend dazu empfehle ich diese Sequenz desselben Kruse-Interviews: „Führung“ (Management von Stabilität + Instabilität)

Organisation der Zukunft

Die Organisation der Zukunft muss beides können:

  • Management von Stabilität / Verwerten des Bekannten: Wertschöpfung, standardisierte Geschäftsprozesse, Hierarchie, Wettbewerb, Profit und Liquidität…
  • Management von Instabilität / Erlernen des Neuen: Innovation, Projekte, Heterarchie, Kooperation…

Bereits im Jahr 1998 hat Prof. Dr. Markus Reihlen hierzu einen Artikel mit dem Titel „Die Heterarchie als postbürokratisches Organisationsmodell der Zukunft?“ publiziert (PDF-Download). Hier verwendet er u.a. diese beiden Bilder – die aktueller scheinen denn je:

Duales Führungssystem © Markus Reihlen

Prof. Reihlen skizziert in weiterer Folge für ein „duales Führungssystem„, um die Überlebensfähigkeit von Organisationen in Zukunft gewährleisten zu können:

Duales Führungssystem © Markus Reihlen

Es werden wohl tagtäglich hunderte Abhandlungen zu dem Thema geschrieben, aber dieses Bild der „Organisation der Zukunft“ erscheint mir persönlich sehr einleuchtend zu sein.

Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch! Wir müssen die guten Erfolgsprinzipien der vergangenen Epochen beherrschen und gleichzeitig das Neue Willkommen heißen und mutig  integrieren.

Ziemlich genau dieses Bild habe ich übrigens auch von der „Zukunft des Projektmanagements“ 😉

Enterprise 2.0 – Auf dem Weg zur „Organisation der Zukunft“

Abschließend möchte ich noch eine gedankliche Brücke zum Thema „Enterprise 2.0“ schlagen.

Meine Hypothese ist, dass die Frage nach der Organisation der Zukunft in weiten Teilen dieselben Themen abdeckt wie die Frage nach der Entwicklung hin zum Enterprise 2.0. Ich möchte dies nochmals an den Wirkfaktoren in Organisationen begründen (siehe diese Präsentation, Folie 9):

  • Environment & Context: In der Organisation der Zukunft wird es entscheidend sein, die sich laufend verändernden Umfeldbedingungen achtsam zu beobachten und auszuwerten. Neue Technologien und die damit einhergehende informationelle Vernetzung (Web 2.0, Social Media, Social Software…) stellt in diesem Zusammenhang einen Quantensprung dar, sowohl in Bezug auf die interne wie auch die externe Perspektive.
  • Corporate Behaviour: Die Organisation der Zukunft kann nur dann überlebensfähig sein, wenn sie dem Systemumfeld einen Nutzen bietet. Dieser Nutzen entsteht durch konkretes Handeln der Organisationsmitglieder. Diese wertschöpfenden Prozesse werden zukünftig noch kollaborativer und fachübergreifender erfolgen müssen, da die Produkte und Dienstleistungen in sich komplizierter geworden sind. Neue Technologien können Kommunikation und Zusammenarbeit entscheidend erleichtern und unterstützen.
  • Corporate Potentials: Der Treibstoff der Organisation der Zukunft ist Wissen und Kompetenz. Eine der zentralen Herausforderungen wird es sein, die „richtigen“ Menschen für die Organisation zu gewinnen und diesen ein entwicklungsförderndes Umfeld zur Verfügung zu stellen. Offenheit, Transparenz und eine reflexive Haltung sind in diesem Zusammenhang Grundvoraussetzungen. Neue Technologien können Lern- und Entwicklungsprozesse entscheidend fördern und beschleunigen.
  • Corporate Culture: „Kultur“ verstehe ich als die Summe der (aus der Vergangenheit resultierenden) Gewohnheiten, Rituale und Glaubenssätze in sozialen Systemen. Die Organisation der Zukunft geht reflektiert mit seiner Kultur um. Führungskräfte sind sich bewusst, dass sie mir ihrem Verhalten Kultur prägen und langfristig beeinflussen können. Neue Technologien können natürlich auch die gelebte Kultur in Organisationen verändern. Beispielhaft genannt werden kann der vertrauensvolle Umgang mit Informationen.
  • Corporate Values: Werte bestimmen – ähnlich wie die Kultur – das Denken und Handeln in Organisationen. Die Organisation der Zukunft orientiert sich an den systemischen Prinzipien Ordnung, Zugehörigkeit und Achtsamkeit. Diese Orientierung prägt auch die gelebten Werte. Neue Technologien haben natürlich keinen direkten Einfluss auf diese Werte, sehr wohl aber einen indirekten.
  • Corporate Identity: Das Selbstverständnis der Organisation der Zukunft kann höchst vielfältig sein, das es eng mit der jeweiligen Entstehungsgeschichte zusammen hängt. Hier stellt sich die Frage, ob die Integration und aktive Anwendung neuer Technologien ein Teil der spezifischen Identität ist oder nicht.
  • Corporate Mission: Die Organisation der Zukunft generiert ihre Kraft, Energie und Leidenschaft aus dem Auftrag, den sie sich selbst gibt. Dabei orientiert sie sich am Bedarf im jeweils übergeordneten System (≠ nur Kundensystem). Der Einsatz neuer Technologien kann nur dann langfristig erfolgreich sein, wenn dadurch ein Beitrag zur Realisierung der Mission entsteht (Beispiel: Wikipedia)

Fazit

  • Wichtig ist, die Hierarchie Logik der genannten Ebenen (= Wirkfaktoren in Organisationen) zu beachten. Lern- und Entwicklungsprozesse müssen VON UNTEN NACH OBEN gestaltet und geführt werden. Wenn eine Veränderung auf einer Ebene erzielt werden möchte, ist jeweils ein Ebenenwechsel um mindestens eine Stufe nach oben notwendig.
  • Ab der Stufe „Corporate Culture“ beginnen die häufig nur unbewusst wahrgenommenen Wirkfaktoren. Es braucht aber eine bewusste Auseinandersetzung mit diesen Themen, um Veränderung und Lernen in Organisationen zu ermöglichen.
  • Die Umsetzung wiederum erfolgt VON OBEN NACH UNTEN. Wichtig ist hierbei das Verständnis, dass Potenziale und schlussendlich verändertes Verhalten nicht vorgegeben werden können. Es können lediglich die Rahmenbedingungen geschaffen werden (eben durch die übergeordneten Ebenen), damit die Organisation der Zukunft entstehen kann.

Neue Technologien (= Social Software) haben das Potenzial, Organisationen auf allen Ebenen zu verändern. Dieser Organisations- und Personalentwicklungsprozess muss aber strategisch gestaltet, stringent geführt und mutig umgesetzt werden. 

Nutzung von Mindmapping-Software

Vor knapp zwei Wochen war die Frage der Blitzumfrage 32 auf dem PM Blog:

Nutzen Sie Mindmapping-Software im Projektmanagement? Wenn ja, welche?

Hier das vorläufige Ergebnis:

Diese Tools wurden unter „Sonstige“ genannt:

Novamind 3
MindNode Pro (Mac) 3
iThought HD (iPad) 2
iToughtsHD 1
Popplet 1
Agilian 1
Mind42.com 1
iMindMap 1
Mindjet Connect 1
TheBrain 1
InfoRapid Knowledge Map 1
Curio 1
Visio 1

Für mich persönlich sind Mindmapping-Tools aus dem Business-Alltag nicht mehr wegzudenken. Es gibt für mich kaum eine keine effektivere und effizientere Methode, um große Stoffmengen zu (einzeln oder im Team) zu sammeln, zu strukturieren, zu analysieren und weiter zu verwerten.

Modell lebensfähiger Systeme (VSM) – Netzwerkorganisation in der Praxis.

© www.managementkybernetik.com

Kritische Auseinandersetzung

Ich habe gehofft, dass mein letzter Beitrag zum Thema „Netzwerkorganisation“ eine kontroverse Diskussion auslöst. Dies ist glücklicherweise passiert.

Zu einigen Punkten möchte ich kurz Stellung beziehen:

  • Ja, dieses „Gedankengut“ ist (leider) vielfach noch weit von der Praxis entfernt.
  • Ja, es ist in der Praxis oft schwierig, Organisationen und vor allem auch die Organisationskultur in diese Richtung zu bewegen.
  • Ja, vielleicht dauert es tatsächlich in vielen Bereichen noch Jahrzehnte, bis diese Prinzipien auch nur annähernd in der Unternehmensorganisation angekommen sind.
  • Ja, es mag sein, dass viele Menschen so sozialisiert sind, dass sie keine Verantwortung übernehmen möchten. Aber ich glaube auch fest daran, dass unsere Organisationssysteme der Vergangenheit dazu wesentlich beigetragen haben. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen möchte sich auch im Beruf entfalten, aktiv mitgestalten und auch mitentscheiden. Wenn Menschen dazu die Gelegenheit bekommen, dass werden diese in der Regel sehr verantwortungsvoll und im Sinne des Unternehmens genützt. Aber diese Frage hängt wesentlich mit dem Bild zusammen, das wir von Menschen haben (Stichwort X-Y-Theorie).
  • Ja, einer der Schlüsselbegriffe in diesem Zusammenhang ist „Vertrauen“. Selbstorganisierte, dezentralisierte Netzwerkorganisationen brauchen eine Vertrauenskultur.
  • Ja, es braucht fundierte Überlegungen und mehr Best Practices. Diese sind sowohl in Theorie als auch in der Praxis vorhanden. Allerdings erhebt dieser Blogbeitrag nicht den Anspruch der lückenlosen Theoretischen Fundierung. Die im letzten Blogbeitrag genannten Literaturempfehlungen fassen den Stand des Wissens aber gut zusammen.

Missverständnisse

Einige der größten Missverständnisse im Zusammenhang mit Netzwerkorganisationen (Heterarchien) sind:

„Netzwerkorganisationen sind antiautoritäre, chaotische und strukturlose Gebilde.“ –> Stimmt nicht. Netzwerkorganisationen haben sehr wohl klare Strukturen, Organisationsregeln und auch Führungs- und Steuerungsmechanismen. Dazu aber nachher noch mehr.

„In Netzwerkorganisationen werden ausschließlich partizipative Entscheidungen getroffen.“ –> Stimmt nicht. Entscheidungen werden dem Kontext angemessen getroffen, sprich wenn nötig auch schnell und autoritär.

Theorie und Praxis

OK, das Thema ist so umfassend und vielfältig, dass es sicher nicht im Rahmen eines Blogs abgehandelt werden kann. Nochmals möchte ich aber auf eines der besten Bücher verweisen, das ich persönlich bislang zu dieser Thematik gefunden und gelesen habe: Strategie des Managements komplexer Systeme von Fredmund Malik.

Prof. Dr. Malik ist auf dem Gebiet der Managementkybernetik, die wesentlich auf den Prinzipien selbstgesteuerter Systeme beruht, seit Jahrzehnten einer der bedeutendsten Experten in Europa. Er hat u.a. auch mit Stafford Beer, Begründer des Modells lebensfähiger Systeme (Viable System Model – VSM; siehe Bild) an der Weiterentwicklung der theoretischen Fundierung aber auch an der Übertragung in die unternehmerische Praxis einen wesentlichen Beitrag geleistet. Und es ist auch kein Zufall, dass Prof. Malik mit seinem „Malik Management Zentrum St. Gallen“ in kürze folgende Veranstaltung anbietet:

DIE MATRIX HAT VERSAGT – WAS NUN? – Malik-Tagung über Struktur, Organisation und Komplexität mit den Top-Experten von Malik Management am 05. März 2010 in Zürich

Für mich persönlich ist gerade das Modell lebensfähiger Systeme (VSM) eines der SCHLÜSSELKONZEPTE zur Implementierung zukunftsfähiger, selbstgesteuerter und dezentraler Netzwerkstrukturen in die Praxis. Die Zeit ist mehr als Reif, dass sich die Entscheidungsträger in den Unternehmen endlich mit diesen Konzepten und Theorien beschäftigen. Denn sie beinhalten aus meiner Sicht die Antworten auf zentrale Fragen zur Unternehmensorganisation des 21. Jahrhunderts. Und: DIE ZEIT IST REIF!

To be continued …

Weiterführende Texte und Videos: